14.01.1998

Pretty Woman in den Fängen der Realität

Die Hure

Auch wenn Ken Russell keine ernsthafte Milieustudie gelungen ist, so ist "Die Hure" keine Komödie oder die Geschichte einer Edeldirne. Eher hoffnungslos gibt sich die Darstellung einer Frau, die sich mit ihrer Umwelt abgefunden hat.

Weil sie von ihrem Zuhälter Blake verfolgt wird, von dem sie sich lossagen möchte, muss die Prostituierte Liz mit einem Stehplatz an einem abgelegenen Highway vorliebnehmen. Als ein großer, schwarzer Schlitten vorfährt und sie aus dessen Innerem aufgefordert wird mitzukommen, findet sie allerdings nicht ihren Traummann vor, sondern ein Vater-Sohn-Gespann, das sie für ihre perversen Inzestspiele gewinnen will. Zwar kann sie aus diesem Geschäft noch aussteigen, doch aus dem schmutzigen Kreislauf, der ihr Beruf und mit ihm ihr Leben bedeutet, kann sie sich längst nicht befreien.

Ken Russell, auch bekannt durch sehr eigene Künstlerbiografien wie "Tschaikowsky - Genie und Wahnsinn" ("The Music Lovers", 1970) und "Lisztomania" ("Lisztomania", 1975), widmet sich mit "Die Hure" zum zweiten Mal nach "China Blue bei Tag und Nacht" ("Crimes by Passion", 1984) der Figur einer Prostituierten. Aber anders als China Blue, einer bürgerlichen Seele mit Doppelleben, die sich nur nachts auf den Straßen darbietet, wird mit Liz eine Hure dargestellt, die sich alltäglich durch dieses Leben schlagen muß, weil sie davon lebt und es sie nicht mehr losläßt.

Einen Film lang redet die überzeugende Theresa Russell als Liz gegen das Zuckermärchen von der "Pretty Woman" an. Einmal der Verlockung des schnellen Geldes nicht widerstanden, konnte sich Liz nicht mehr dem Strudel von Ekel, Verachtung und Gewalt entziehen. Ihren Sohn hat sie schon längst abgeben müssen, Freundschaften werden von ihrem Zuhälter verhindert. Ihr einziger Ansprechpartner während dieses einen Tages ihres Lebens, den Liz schildert, ist der Zuschauer. Selbstachtung und Respekt vor sich selbst sei ihr wichtig, meint sie in einer Szene, muss aber zu erkennen geben, dass sie den schon längst verloren hat. Trotz ihrer Routine fühlt sie sich zutiefst minderwertig, sucht letztendlich erfolglos menschliche Wärme und fragt sich, warum ihre Eltern sie gemacht haben - wahrscheinlich seien sie besoffen gewesen, kommt Liz als Erklärung in den Sinn.

So sehr ist Liz von ihrem Beruf, der zweifellos in alle Bereiche ihres Lebens vorgedrungen ist, eingeschlossen, dass sie sentimental wird, wenn sie von aparten Stammkunden berichtet; dies sind die einzigen Menschen, die ihr geblieben sind. Um sich sonst ein Lächeln abzuringen, muss sie sich schon in Erinnerungen an bessere Zeiten flüchten. Dies ist vielleicht der bestürzendste Moment des Films: Liz scheint sich mit ihrer Situation arrangiert und damit resigniert zu haben, nicht mehr Willen und Kraft aufbringen zu können, um dem Milieu zu entfliehen, und wünscht sich nur, ihrem Zuhälter zu entkommen, um als freie Prostituierte arbeiten zu können. Ein Neuanfang, mit dem sie die Straße nicht verlassen verlassen würde.

Ken Russell scheint hier, wenn auch vielleicht unbeabsichtigt, eine realitätsnahe Antwort auf die fröhliche "Pretty Woman" zu geben. Leider sind die Figuren des Films zuweilen grotesk und sogar komisch angelegt, wodurch dem Zuschauer eine distanziertere und weniger ernste Haltung angeboten wird. Die durch die persönliche Schilderung zwangsläufige Konzentration auf Liz führt hier dazu, dass die anderen Figuren, die in vielen Kurzepisoden auftauchen, Klischees sind. So schockiert der Film zwar oft, ist aber davon entfernt, umfassend sozialkritisch zu sein.  

Philipp Wallutat / Wertung: * * * (3 von 5)



Filmdaten

Die Hure
(Whore)
USA 1991
Regie: Ken Russell; Drehbuch: Ken Russell und Deborah Dalton nach dem Bühnenstück "Bondage" von David Hines; Kamera: Amir Mokri; Schnitt: Brian Tagg; Musik: Michael Gibbs;
Darsteller: Theresa Russell (Liz), Antonio Fargas (Rasta), Benjamin Mouton (Blake), Elisabeth Morehead (Katie), Sanjay (Inder), John Diehl (Penner) u.a.

Länge: 85 Minuten; FSK: ab 16 Jahren; deutscher Kinostart: 4. Juli 1991



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