27.04.2017

Die große Sause

Eine der erfolgreichsten Filmkomödien ist 2016 nach 50 Jahren in überarbeiteter Fassung wieder in die französischen Kinos gekommen: "Die große Sause" ("La grande vadrouille") mit Louis de Funès und Bourvil in den Hauptrollen.

Die Handlung spielt im Zweiten Weltkrieg, 1942 in Paris, während der Besatzung Frankreichs durch Nazideutschland. Ein britischer Bomber wird von den Deutschen abgeschossen, und die drei Piloten landen mit ihren Fallschirmen an verschiedenen Orten in der Hauptstadt. Cunningham (Claudio Brook) trifft auf den Malermeister Auguste Bouvet (Bourvil), sie retten sich vor den Deutschen in die Wohnung der Puppenspielerin Juliette (Marie Dubois). MacIntosh (Mike Marshall) landet auf dem Dach der Pariser Oper und begegnet dem Dirigenten Stanislas Lefort (Louis de Funès). Beide Engländer wollen zusammen mit ihrem Kommandanten Sir Reginald Brook (Terry-Thomas mit unverwechselbarer Zahnlücke) in die "freie Zone" (also den von der Wehrmacht nicht besetzten Teil Frankreichs) fliehen, um von dort aus nach Großbritannien zu gelangen. Lefort und Bouvet wollen den Briten zunächst nicht unbedingt helfen. Da aber auch sie von den Deutschen verfolgt werden, weil man sie für Komplizen des Feindes hält, müssen sie zusammen mit den drei Piloten fliehen, auch Juliette ist dabei. Auf der Flucht kommen sie immer wieder in die Gefahr, von deutschen Soldaten gefasst zu werden. Cunningham verrät sich aus Versehen, als er im Zug spontan "sorry" sagt. Er wird verhaftet. Die anderen finden Unterschlupf in einem Hotel und in einem Kloster. Sie verkleiden sich als deutsche Soldaten, befreien Cunningham und allen gelingt die Flucht mit Segelflugzeugen in die "Freie Zone".

Der Orchesterchef ist wieder einmal eine Paraderolle für Louis de Funès, den wohl größten Filmkomiker im Nachkriegsfrankreich, dessen Karriere 1964 mit dem Film "Der Gendarm von Saint-Tropez" ins Rollen kam. Als er in der Opéra Garnier den Ungarischen Marsch aus Berlioz' "La damnation de Faust" dirigiert (mit weißer Künstlerperücke), kann er die volle Bandbreite seiner Mimik, Gestik und Stimmführung ausspielen. Er hopst, turnt, grimassiert und beschimpft bei der Probe die Musiker, sie seien einfach sehr schlecht: "Glauben Sie, ich möchte hier alleine schwitzen?", "Ich möchte hier nur Berlioz und mich haben!" Als er auf Befehl der Deutschen die Probe beenden muss, zerbricht er wütend den Taktstock. Nicht umsonst nennt man ihn in Frankreich den "Mann mit vierzig Gesichtern pro Minute"! Für die Opernszene soll er drei Monate geprobt haben. Die (echten) Musiker, so wird berichtet, waren von seinem Spiel so begeistert, dass sie laut applaudierten.

Regisseur Gérard Oury hatte bereits in "Louis, das Schlitzohr" ("Le corniaud") de Funès und Bourvil eingesetzt, und wieder ergänzen sich der unheilbare Choleriker und der gutmütige Naivling perfekt. Ein Großteil der Komik entsteht aus dem Kontrast der beiden, etwa wenn der Giftzwerg seinen Partner beschimpft oder ihn zwingt, auf der Flucht die Schuhe mit ihm zu tauschen.

Die ungeheuer tempo- und gagreiche Komödie spielt genregerecht voll auf der Klaviatur der Klischees. Natürlich sind die Deutschen streng und diszipliniert, die Engländer bleiben stets Gentlemen, die Franzosen sind chauvinistisch und lieben das gute Essen. Immer wieder kommt es zu Szenen von unwiderstehlicher Komik. Ein Beispiel: Die Engländer haben vor ihrem Absprung über Paris vereinbart, dass sie sich im „Türkischen Bad“ treffen. Erkennungsmelodie soll das Lied "Tea for two", sein. Lefort wird nun vorgeschickt, er weiß nur, dass der Kommandant Brook einen Schnurrbart trägt. Im "Türkischen Bad" befindet sich aber auch ein anderer Mann mit Schnurrbart, ein dicker rotbackiger Franzose. Im bauchhohen Dampf nähert sich nun de Funès dem Dicken, guckt ihn fragend an und summt leise "Tea for two". Und die Reaktion des Dicken? Er guckt ungläubig auf das sich nähernde Männchen und vermutet offensichtlich eine sexuelle Anmache. Ein unvergesslicher Moment. Und ohne Worte!

Natürlich funktioniert das Ganze nur, weil in der Komödie die schlimmen Seiten des Krieges ausgespart werden. Besonders bedrückend scheint die Besatzung nicht zu sein. Von Judendeportation ist keine Rede. Ganz Frankreich ist in der Résistance. Das Vichy-Régime und die Kollaboration: kein Thema. Das geplante Attentat auf einen hohen Wehrmachtsoffizier in der Oper geht unblutig aus. Man darf auch nicht vergessen, dass wenige Jahre vor dem Erscheinen des Films die deutsch-französische Freundschaft besiegelt wurde, da wollten die Macher nicht in alten Wunden rühren.

Die Kritiker waren bei Erscheinen des Films geteilter Meinung. Die einen sprachen von "Schande", die anderen von "perfekter Mechanik des Lachens". Der Publikumserfolg war und ist weltweit immens. 17 Millionen Zuschauer in Frankreich sahen diese Komödie seit ihrem Erscheinen 1966. Erst Jahrzehnte später wurden die Besucherzahlen übertroffen, von "Titanic", "Willkommen bei den Sch'tis" und "Ziemlich beste Freunde". Es dürfte kaum eine französische Familie geben, die kein Video bzw. keine DVD des Films besitzt.  

Manfred Lauffs / Wertung: * * * * * (5 von 5)



Filmdaten

Die große Sause
(La grande vadrouille)

deutscher Alternativtitel: Drei Bruchpiloten in Paris

Frankreich/GB 1966
Regie: Gérard Oury;
Darsteller: Louis de Funès (Stanislas Lefort), Bourvil (Augustin Bouvet), Terry-Thomas (Sir Reginald Brook), Claudio Brook (Peter Cunningham), Mike Marshall (Alan McIntosh), Marie Dubois (Juliette), Marie Marquet (Oberin des Hospizes), Benno Sterzenbach (Major Achbach), Sieghardt Rupp (Leutnant Stürmer), Reinhard Kolldehoff (Oberfeldwebel der Feldgendarmerie) u.a.;
Drehbuch: Gérard Oury, Marcel Jullian, Marielle Thompson; Produzent: Robert Dorfmann; Kamera: Alain Domage, Claude Renoir; Musik: Georges Auric; Schnitt: Albert Jurgenson;

Länge: 123,57 Minuten; FSK: ab 6 Jahren; westdeutscher Kinostart: 15. September 1967



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Schauspieler und Komiker Karl Valentin

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