14.03.2015

Die geliebten Schwestern


Dies schrieb Friedrich Schiller in einem Brief an die Schwestern Charlotte und Caroline, mit denen er 1788 in Rudolstadt an der Saale einen Sommer verbracht hatte: "Ich hätte nicht geglaubt, daß das Glück das eure Liebe, auch schon in fernen Ahndungen mir gewährt, in meiner Seele sich erhöhen könnte. Aber mit jedem Tage wird es reicher und unerschöpflicher – ach die Liebe ist das Einzige in der Natur, wo auch die Einbildungskraft selbst keinen Grund findet und keine Grenze sieht. Nur in euch zu leben, und ihr in mir – o das ist ein Daseyn, das uns über alle Menschen um uns her hinwegrücken wird. Unser himmlisches Leben wird ein Geheimniß für sie bleiben, auch wenn sie Zeugen davon sind."

Es ist so ein bisschen wie bei dem Verhältnis zwischen Goethe und Frau von Stein, die auch in dem Film vorkommt und hysterisch reagiert, als sie erfährt, dass Goethe vorerst nicht aus Italien nach Weimar zurückkehrt: Hat er oder hat er nicht? – fragt sich seitdem nicht nur die gelehrte Welt. Offenbar hat Schiller beide Schwestern "geliebt", Charlotte wurde seine Frau, aber wie weit ging das Verhältnis zu Caroline? Regisseur und Drehbuchautor legt uns nahe, dass es sehr weit ging, dass hier eine echte "ménage à trois" geführt wurde. (Die Forscher sind da skeptisch, denn eindeutige Beweise gibt es nicht. Charlotte hat Briefe verfälscht oder verbrannt. Die Faktenlage schildert überzeugend Volker Hage bei SPIEGEL online.)

Kann diese Dreiecksgeschichte einen ganzen langen Film (fast drei Stunden Laufzeit) tragen? Ist das nicht nur etwas für Germanisten? Erste Antwort: Ja. Zweite Antwort: Nein. Dies ist ein glanzvoller, sorgfältig ausgestatteter, von den Schauspielern bis in die feinsten Gefühlsregungen hinein vorzüglich gestalteter und zudem historisch interessanter Film, der von Anfang bis Ende das Publikum in seinen Bann zieht. Die Klassik ist offenbar nicht verstaubt! Leidenschaften beherrschen die Menschen, politische Stimmungen stehen in enger Beziehung zu den seelischen Regungen. Ein großer Unterschied zur heutigen Zeit: Es wird nicht telefoniert und es werden keine SMS abgesetzt. Dafür werden am laufenden Band Briefe geschrieben, mit Feder, in Schönschrift, mit Siegellack verschlossen. Das ist die Kommunikation der Herzensergießungen.

Charlotte von Lengefeld, eine junge Adelige aus Rudolstadt (Henriette Confurius) lebt vorübergehend in Weimar bei Ihrer Patentante Frau von Stein (Maja Maranow), die für sie einen passenden Ehemann finden will. Eines Tages taucht der junge Schiller (Florian Stetter) auf, der bereits durch sein Skandalstück "Die Räuber" bekannt geworden ist, und findet bei Charlotte großes Interesse. Ihre Schwester Caroline von Beulwitz (Hannah Herzsprung) ist verheiratet, hat aber die Ehe nur geschlossen, um ihrer verwitweten Mutter Louise (Claudia Messner) ein standesgemäßes Leben zu sichern. Caroline lädt nun Schiller 1788 nach Rudolstadt ein, wo die drei sich sofort blendend verstehen und einen traumhaften verliebten Sommer verbringen. Einmal rettet Schiller ein kleines Mädchen aus dem Fluss und muss selbst von den Schwestern gerettet werden, weil er nicht schwimmen kann. Wie sie den Freund mit ihren Körpern wärmen, wird zu einer überaus erotischen Szene stilisiert.

Charlotte reist nach Weimar zurück. Carolines Mann stimmt nicht in eine Scheidung ein. Eine "Ehe zu dritt" kann nicht stattfinden. Schiller trennt sich von seiner Weimarer Geliebten Charlotte von Kalb, die vor Wut alle Briefe zurückverlangt und verbrennt, und heiratet Charlotte, die ihm einen Sohn gebärt. In Jena hat er nun eine Professur. In einer fulminanten Szene im sonnendurchfluteten Hörsaal wird er von Professoren und Studenten bei seiner Antrittsvorlesung begeistert gefeiert. Hier verficht er die Ideale der Freiheit und des Kampfes gegen die Macht der Despoten, die auch seine Theaterstücke bestimmen. So scheint hier auch im politischen Leben ein Glück möglich zu sein, das dem Glück in den persönlichen Beziehungen entspricht. Es ist dann später ein besonderer Schock für Schiller, als sein Freund Wolzogen ihm ein Heft mit grausamen Zeichnungen aus der französischen Revolution zeigt. So hatte er sich den Kampf für Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit nicht vorgestellt.

1793 lässt er sich in Tübingen beim Verlag Cotta die neuen Drucktechniken zeigen, mit denen seine und Goethes Zeitschrift "Die Horen" hergestellt werden. In Tübingen trifft er auch Caroline wieder, die sich ihre Liebesdienste von einem älteren Mann bezahlen lässt. Es kommt zwischen Friedrich und Caroline zu einer leidenschaftlichen Liebesnacht. Sie wird schwanger, reist mit Wilhelm von Wolzogen nach Schaffhausen und teilt schließlich mit, dass sie bei diesem Mann bleiben will.

Jahre später sollen die inzwischen zerstrittenen Schwestern in Weimar durch die Mutter versöhnt werden, dabei kommt es aber zu einem großen Streit, das Erbporzellan, das die Mutter mitgebracht hat, wird zerschlagen, und zudem erleidet Schiller einen Blutsturz. Der Film endet mit der Mitteilung, dass Schiller im Jahre 1805 verstorben ist. Was nicht erwähnt wird: Als die Ärzte nach Schillers Tod – er wurde nur 46 Jahre alt – den Leichnam öffneten, fanden sie alle lebenswichtigen Organe von Krankheit zerfressen. "Bei diesen Umständen", heißt es im Obduktionsbericht, "muss man sich wundern, wie der arme Mann so lange hat leben können". Daraus liest Rüdiger Safranski, der Verfasser der 2005 erschienenen großen Schiller-Biographie, eine Definition von Schillers Idealismus ab: "Idealismus ist, wenn man mit der Kraft der Begeisterung länger lebt, als der Körper eigentlich erlaubt."

Mit großer Einfühlungskraft hat Dominik Graf seinen "idealistischen" Film komponiert. Harmonisch entwickelt sich die Handlung, nicht nur durch die Dialoge, vor allem durch die vielen Briefe und Literaturzitate, und durch die Stimmen aus dem Off, wobei Graf selbst als Erzähler fungiert. Der Film ist eine Ode an die Freude, an die Liebe, an die Freiheit und auch an die Sprache.

Die drei Protagonisten sind ideal besetzt. Florian Stetter spielt den jungen Schiller mit einer Mischung aus Gefühlsüberschwang und politischem Idealismus. Henriette Confurius, der neue Star am deutschen Kinohimmel, zeigt die sanftmütige und zugleich leidenschaftlich verliebte Charlotte mit viel Herzblut. Hannah Herzsprung komplettiert das Trio, indem sie als Caroline die schwierige Balance zwischen Hingabe und Verzicht hält.

Unterstützt wird das Ganze durch die hervorragende Kameraarbeit: Michael Wiesweg zeigt immer wieder sanft-romantische Landschaften, findet aber zudem kluge Schnitte und Verknappungen, so etwa, wenn man eine Guillotine wie auf einem Gemälde sieht und als nächste Einstellung einen auf dem Pflaster sich ausbreitenden Blutfleck.

Ein schwelgerischer, berührender, ja packender Film, der lange nachwirkt. Und die Frage aufwirft: Kann es denn vielleicht nicht doch so gewesen sein? An beide Schwestern, die "Engel meines Lebens", schrieb Schiller am 30. November 1789 diesen sehnsuchtsvollen Brief: "Wäret ihr schon mein! Wäre dieses jetzige Erwarten das Erwarten unsrer ewigen Vereinigung! Meine Seele vergeht in diesem Traume ... Könnten wir uns eben so leicht in unsre Liebe einschließen, als sie uns genug ist zu unserer Glückseligkeit für immer und ewig. Warum können wir es nicht? Warum darf uns die Welt ein Gut vorenthalten, das sie mit allem, was sie theures hat, nicht erhöhen kann."  

Manfred Lauffs / Wertung: * * * * * (5 von 5) 
 

 

 
Filmdaten 
 
Die geliebten Schwestern  
 
Deutschland / Österreich / Schweiz 2014
Regie & Drehbuch: Dominik Graf;
Darsteller: Hannah Herzsprung (Caroline von Beulwitz bzw. von Wolzogen), Florian Stetter (Friedrich Schiller), Henriette Confurius (Charlotte von Lengefeld bzw. von Schiller), Claudia Messner (Louise von Lengefeld), Ronald Zehrfeld (Wilhelm von Wolzogen), Maja Maranow (Charlotte von Stein), Anne Schäfer (Charlotte von Kalb), Andreas Pietschmann (Friedrich von Beulwitz), Michael Wittenborn (Knebel), Götz Otto (Goethe), Jörg Schneider (Goethe) u.a.;
Produktion: Bavaria Filmverleih und Produktions GmbH in Koproduktion mit: Wega Filmproduktionsgesellschaft mbH (Wien), WS Filmproduktion Dr. Wolfgang Stürzl, KIDDINX Filmproduction, Senator Film Produktion; Produzenten: Grigoriy Dobrygin, Uschi Reich; Kamera: Michael Wiesweg; Musik: Sven Rossenbach, Florian van Volxem; Schnitt: Claudia Wolscht;

Länge: 139,24 Minuten, auch gezeigt mit der Länge 170,58 Minuten; FSK: ab 6 Jahren; ein Film im Verleih der Senator Film Verleih GmbH; deutscher Kinostart: 31. Juli 2014



Artikel empfehlen bei:  Mr. Wong Delicious Facebook  Webnews Linkarena  Hilfe

© filmrezension.de

home
  |  regisseure/schauspieler   |  e-mail
 über uns  |  impressum  


 
 
 
 
 
Offizielle Seite zum Film
<14.03.2015>


Zitat

"Ich freue mich, wenn es regnet. Denn wenn ich mich nicht freue, regnet es auch..."

Schauspieler und Komiker Karl Valentin

Drucken

Artikel empfehlen
Mr. Wong Delicious Facebook Webnews Linkarena 
Hilfe