07.09.2011
Wie liebt man einen Zeitreisenden?

Die Frau des Zeitreisenden


Henry ist sechs Jahre alt. Es ist Weihnachten und er sitzt mit seiner Mutter im Auto. Sie singen und sind glücklich. Plötzlich ein Unfall. Der kleine Henry löst sich unter den Augen seiner panischen Mutter förmlich in Nichts auf. Dann sieht er eine Szene aus der jüngeren Vergangenheit. Seine Eltern und er selbst sitzen gut gelaunt daheim auf der Couch und lesen ein Kinderbuch. Als nächstes steht Henry schwer atmend, verschwitzt und nackt wieder auf der bitterkalten, verschneiten Straße und sieht erneut den Autounfall von Weitem. Er schreit nach seiner Mutter. Ein 30jähriger Mann hüllt ihn in eine Decke und sagt ihm, er solle sich keine Sorgen machen. Er habe eine Zeitreise gemacht. "Ich bin Du. Verstehst Du? Wenn Du erwachsen bist", sagt der Mann. Um sich bald darauf selbst in Nichts aufzulösen. Nur die Kleider bleiben zurück.

Mit diesen schockierenden Bildern, die zugleich eine wunderschöne Ästhetik haben, hat der Film den Betrachter schon eingesogen. Wir wissen innerhalb von Sekunden, wie Zeitreisen sein könnten. Und es beginnt ein intellektuell-emotionales Spiel der verschiedenen Zeitebenen, der verschiedenen Identitäten und Zustände Henrys, zwischen denen man sich erstmal verirrt und nicht bald nicht mehr weiß, wer jetzt wo wie und warum ist.

Henry reist nur im eigenen Leben in verschiedene Zeitebenen und an Orte, die eine wichtige Rolle für ihn spielen. Als er mal gerade in der Bibliothek arbeitet, in der er Angestellter ist, löst er sich auf, seine Kleider fallen wie mit einem schweren Luftseufzer auf den Boden. Henry taucht nackt unter einer Brücke auf, es ist dunkel, es regnet, er friert. Er stiehlt sich Kleider zusammen, wird von der Polizei festgenommen, und löst sich im Polizeiwagen wieder in Nichts auf. Diese "Zustände" der Zeitreisen erschöpfen ihn, er wirkt einsam und gejagt, als eines Tages eine schöne Frau ihn völlig verliebt ansieht und sich über ihn freut, als ob sie ihn schon lange kennt. Es ist Clare. Sie bringt ihm behutsam bei, dass sie schon ihr ganzes Leben auf ihn wartet, dass sie über seine Zeitreisen Bescheid weiß, dass Alkohol ein Auslöser sein kann, dass ein Arzt ihm helfen kann. Henry beginnt, langsam zu begreifen, tröpfchenweise kommt Harmonie in sein Leben, es entsteht Liebe, es entsteht das Gefühl, er ist nicht mehr alleine. Er hat ein Zuhause.

Kameramann Florian Ballhaus kreierte für diesen Film verschiedene Bildqualitäten für die jeweiligen Zeitebenen – so sind Clares (Kindheits-)Erinnerungen an Henry in die intensive Herbstsonne eines Indian Summer getaucht, weich gezeichnet und verträumt. Die bedrohlichen Zeitreisen jedoch im Dunklen, in blau, dunkelblau und mit hohem Kontrast versehen. Auch haben die Maskenbildner gute Arbeit geleistet, weil Henrys Identitäten optisch doch auseinanderzuhalten sind. Das Auflösen Henrys ist eine digitale Meisterleistung – während sein Gesicht noch lächelt, verschwindet das Kinn, während er mit der Hand winkt, lösen sich die Fingerkuppen schon auf.

Clare ist die immens bedingungslos Liebende und die seit Kindheitstagen ewig auf Henry Wartende. Henry versucht mit verschiedenen Mitteln, ihr das Warten zu erleichtern. Aber das Warten ist eine besondere Herausforderung – denn manchmal ist Henry nur für Minuten weg, andere Male dauert es Wochen und Monate. Wie kann man so die Beziehung, den Wunsch nach Zusammensein, Geborgenheit und Familie gestalten? Was, wenn ein potenzielles gemeinsames Kind auch den genetischen Defekt des Vaters erbt? Was tut man, wenn man schon weiß, wann man sterben wird? Die Probleme bleiben nicht aus, auch wenn sie anders sind als in einer "normalen" Ehe. Dennoch sind sie die gleichen: denn auch "Nicht-Zeitreisende" wissen um den Schmerz des Abschieds, um Sehnsucht nach dem geliebten Menschen, um Tod und Trauer.

Das Spiel mit den Zeitebenen ist angenehm verwirrend, manchmal tief berührend, und es beschäftigt über das Ende des Films hinaus – Clare hat beispielsweise mal einen Seitensprung mit einer jüngeren Identität Henrys, während Henry zu Hause im Bett schläft. Aber als einen Seitensprung kann man es gar nicht bezeichnen – oder doch? In einer anderen Zeitreise begegnet Henry seiner Mutter in der U-Bahn, sie erzählt ihm von ihrem dreijährigen Sohn. Henry sagt ihr, dass ihr Sohn sie sehr liebt. Das Ende des Films ist auch zugleich sehr traurig und sehr schön, es deutet darauf hin, dass die Liebe die Zeitreisen überwunden hat.

Liebe und Zeitreisen sind ein beliebtes aber scheinbar nie erschöpfendes Filmthema – wenn man beispielsweise an das Filmvergnügen von "Solaris" (2002) denkt, wo dank Liebe die Unmöglichkeit möglich wird. Auch ältere Filme wie "Ein tödlicher Traum" ("Somewhere in Time", 1980), "Und täglich grüßt das Murmeltier" ("Groundhog Day", 1993) oder "Das Haus am See" ("The Lake House", 2006) erzählen – so wie auch "Die Frau des Zeitreisenden" – manchmal lustig oder dann auch traurig darüber, wie nur ein starkes Gefühl es schafft, Menschen zu verändern, zu ungewöhnlichen Entscheidungen zu bringen, um die Liebe zu retten.  

Hilde Ottschofski / Wertung: * * * * (4 von 5) 
 

 

 
Filmdaten 
 
Die Frau des Zeitreisenden (The Time Traveler's Wife) 
 
USA 2009
Regie: Robert Schwentke;
Darsteller: Eric Bana (Henry DeTamble), Rachel McAdams (Clare Abshire), Arliss Howard (Richard DeTamble), Ron Livingston (Gomez), Stephen Tobolowsky (Dr. David Kendrick) u.a.;
Drehbuch: Bruce Joel Rubin nach dem Roman von Audrey Niffenegger; Produzenten: Dede Gardner, Nick Wechsler; Ausführende Produzenten: Richard Brener, Justis Greene, Brad Pitt, Michele Weiss; Co-Produzentin: Kristin Hahn; Kamera: Florian Ballhaus; Musik: Mychael Danna;

Länge: 107 Minuten; FSK: ab 12 Jahren; ein Film im Verleih von Warner Bros. Pictures Germany; deutscher Kinostart: 17. September 2009



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Zitat

"Ich freue mich, wenn es regnet. Denn wenn ich mich nicht freue, regnet es auch..."

Schauspieler und Komiker Karl Valentin

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