25. November 2004
Anleitung zum Revoluzzerdasein

Die fetten Jahre sind vorbei


Die fetten Jahre sind vorbei Sie nennen sich die "Erziehungsberechtigten" und brechen in die Häuser Reicher ein. Gestohlen wird nichts, Verunsicherung der Oberschicht ist ihr Anliegen. Bis den Mittzwanzigern Jan (Daniel Brühl), Jule (Julia Jentsch) und Peter (Stipe Erceg) ein Manager (Burghart Klaußner) in die Hände fällt, den zu entführen sie gezwungen sind. Für diesen Notfall haben sie keinen Plan. Der einstige Hausbesetzer Hans Weingartner inszenierte mit seinem zweiten Spielfilm nach "Das weiße Rauschen" den ersten bedeutenden Film der Generation Attac.

Links zu sein ist wieder in. Die Globalisierungsgegner haben sich zum weltumspannenden Protest zusammen gefunden, erfolgreich darin, ihr Anliegen im Kollektiv formulieren zu können, gleichermaßen erfolglos allerdings bislang darin, die ungerechte Güterverteilung stoppen zu können. Kurz vor dem deutschen Kinostart von "Die fetten Jahre sind vorbei" wurde ein auf die Gleise betonierter 21-jähriger Castor-Transport-Gegner vom Zug überrollt. Wie die Organisatoren des Castor-Transports ihr Vorhaben durchziehen, so lassen sich die Befürworter der Globalisierung nicht davon abbringen, selber noch reicher zu werden, auf Kosten anderer. So motiviert, gibt es sie wieder, die radikalere Variante des Protests gegen diese Missverhältnisse, aber sie wird sich dazu gezwungen fühlen, noch radikaler zu werden. Die Selbst-Einbetonierung allein reicht nicht, ist also noch eine Steigerung zu erwarten - oder verläuft das ideologische Betonmischen im Sande?

Hans Weingartner spielt in "Die fetten Jahre sind vorbei" alle Optionen durch. Selber noch reicher werden auf Kosten anderer: Jule (Julia Jentsch) leidet unter jenem Fall nicht nur ideologisch-theoretisch, ihr hängt das Drehbuch einen solchen Fall ganz in Praxis an. Sie muss arbeiten, um die Kosten eines vor Jahren verschuldeten Autounfalls abzustottern. Ein S-Klasse fahrender Manager hatte Totalschaden angegeben. Jule hatte keine Kfz-Versicherung. Dafür jetzt 100000 Euro Schulden.

Die fetten Jahre sind vorbeiVor Jan (Daniel Brühl), dem besten Kumpel ihres Freundes Peter (Stipe Erceg) hat Jule dies bislang verschwiegen. Umgekehrt vor Jule verschwiegen haben Jan und Peter, dass sie in den Nächten mehr tun als Plakate kleben im Widerstand gegen soziale Ungerechtigkeit: Sie sind Einbrecher und schocken Reiche. Sie bestehlen diese nicht, wenn sie in deren Abwesenheit deren Häuser kapern, stattdessen werden deren Immobilien mobilisiert, nämlich neu geordnet, weil diejenigen, die die Güterverteilung zu ihren Gunsten verändern, sich somit fortan ihrerseits bedroht fühlen. Jan ist heimlich in Jule verliebt, dadurch überrumpelt er sich selbst, gibt ihr gegenüber das Geheimnis preis und lässt zu, dass der Manager, der Jule in die finanzielle Krise gestürzt hat, nun auch seinen Schaden haben soll.

Was als verspielte Anti-Aktion begann, endet damit, dass der Manager von Jan niedergeschlagen werden muss, der soft-radikale Protest - nie war erlaubt, jemanden zu verletzen - radikaler wird. Hardenberg (Burghart Klaußner) hat die beiden in seinem Haus erwischt und Jule wiedererkannt. Nichts ist für alle, wie es vorher war, auch für den ahnungslosen Peter nicht, der jetzt in Solidarität mit den anderen und für die Ideologie mitzieht.

Der aus der Not geborene Plan B: Der Manager wird entführt, die Flucht aller miteinander führt in eine Almhütte. Welch feine Ironie: Es zieht junge, ideologisch scheinbar gefestigte Linke in die Umgebung ideologisch scheinbar gefestigter tiefschwarzer Wahlbereitschaft. Dort gibt es für die vier Zwangsbekanntschaften einen Showdown in Sachen Diskurs, der aufweist, dass in Wirklichkeit nichts ist, wie es sich darstellt. Hardenberg war ein 68er, sein einstiges ideologisches Betonmischen verlief im Sande, finanziell war er immer erfolgreicher geworden, bis er sich eines Tages dabei ertappte, wie er freimütig zugibt, dass er "plötzlich CDU wählte". Aber noch immer ist er altlinks genug, sodass er den drei mit viel Ironie ihre ideologischen Grenzen aufzuweisen in der Lage ist.

In dem gleichzeitig zu "Die fetten Jahre ..." in den deutschen Kinos laufenden Film "Agnes und seine Brüder" macht sich Weingartners Autorenfilmer-Kollege Oskar Roehler bereits über einen Grünen lustig, der seine einstigen Ideale als Sponti über Bord geworfen hat, um bürgerlich im teuren Eigenheim zu leben. Weingartners Hardenberg ist dessen Alter ego. Mehr noch, es kommt nicht von ungefähr, dass Daniel Brühl und Burghart Klaußner Sohn und Vater in "GoodBye, Lenin!" darstellten und nun wieder gemeinsam besetzt sind, zweifellos eine Anspielung darauf, dass Jans ideologisches Gefestigtsein eines Tages Makulatur sein könnte, denn Hardenberg nimmt im direkten Vergleich den weiteren Lebensweg der drei vorweg. Selber noch reicher auf Kosten anderer könnten die drei werden? Optional ist dies denkbar, denn Weingartner durchleuchtet alle denkbaren Zukunftsperspektiven. So dabei äquivalent jene, dass die Radikalisierung der drei fortschreiten kann. Passenderweise präsentierte Weingartner seinen Film in bereits zwei verschiedenen Versionen. Beim Filmfestival in Cannes, bei dem "Die fetten Jahre ..." der erste deutsche im Wettbewerb um die Goldene Palme seit elf Jahren war, hielt das dort gezeigte Ende des Films die potenzielle Zukunft der drei wesentlich mehr in der Schwebe als in der Variante, die im deutschen Kino anlief: Das Ende steht nunmehr ganz explizit für die Radikalisierung der drei, das "System" zwingt sie, impliziert Weingartner, in den Untergrund zu gehen, da es unumstößlich keinen Weg zurück gibt.

Die fetten Jahre sind vorbeiMit der kurzfristigen Abänderung des Filmschlusses konterkariert Weingartner leider die gute antizipativische Idee, was aus der jetzigen Generation Attac in den Einzelfällen zu werden möglich ist. Weitaus frappierender, er konterkariert gar sein Anliegen, das sowohl im Film deutlich erkennbar ist als auch Weingartner explizit in Interviews ausspricht: "Vielleicht machen sich die jungen Leute, die 'Die fetten Jahre sind vorbei' sehen, auf die Suche nach ihrer verschütteten Energie. Das wäre zumindest ein Traum von mir." Eher versehentlich peilt er, der in Berlin einst Hausbesetzer war, dadurch nun jene extreme Radikalisierung an. Galt doch für ihn zunächst eindeutig die mediale Unterstützung aller Attac-Aktivisten und Mobilisierung weiterer im Kampf gegen soziale Ungerechtigkeit. Das neue Ende verwirft Weingartners ursprüngliches löbliches Anliegen endgültig, das schon im mehr als unterschwelligen Aufruf zu Einbrüchen pervertiert worden war.  

Michael Dlugosch / Wertung: * * * (3 von 5) 
 

Quelle der Fotos: Delphi Filmverleih; Bild 1: Dirk Plamböck; Bild 2: Y3 Film; Bild 3: Amélie Losier

 
Filmdaten 
 
Die fetten Jahre sind vorbei   
 

Deutschland / Österreich 2004

Titel für den englischsprachigen Markt: The Edukators

Regie: Hans Weingartner ("Das weiße Rauschen");
Darsteller: Daniel Brühl (Jan), Julia Jentsch (Jule), Stipe Erceg (Peter), Burghart Klaußner (Hardenberg), Peer Martiny (Villenbesitzer), Petra Zieser (Villenbesitzerin), Laura Schmidt (Tochter), Sebastian Butz (Sohn), Oliver Bröcker (aggressiver Globalisierungsgegner), Knut Berger (Globalisierungsgegner), Hanns Zischler (Vermieter), Claudio Caiolo (Paolo), Bernhard Bettermann (Jules Chef), Sylvia Haider (neureiche Frau 1), Claudia Jakobshagen (neureiche Frau 2) u.a.; Drehbuch: Katharina Held, Hans Weingartner; Produktion: Sabine Holtgreve, Georg Steinert, Antonin Svoboda, Hans Weingartner; Kamera: Daniela Knapp, Matthias Schellenberg; Musik: Andreas Wodraschke

Länge: 129 Minuten; FSK: ab 12 Jahren; ein Film im Verleih von Delphi Filmverleih; Film-Homepage: http://www.diefettenjahre.de



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<25.11.2004>


Zitat

"Ich freue mich, wenn es regnet. Denn wenn ich mich nicht freue, regnet es auch..."

Schauspieler und Komiker Karl Valentin

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