19.02.2013
Liebe in Zeiten der Bürokratie

Die 727 Tage ohne Karamo


Die 727 Tage ohne Karamo Drei Tage noch, dann haben Karamo und seine Frau ihren Jahrestag. Den zweiten schon. Wer hätte gedacht, dass die Beziehung so lange hält? Der Vater der Braut sicher nicht. In einem Brief listet er seiner Tochter in nüchternem Ton die Gründe für auf, aus denen er ihre Ehe zum Scheitern verurteilt sieht. Anja Salomonowitz sieht es auch, doch der filmische Blick der österreichischen Regisseurin erkennt hinter der liberalen Fassade ihres Heimatlandes ein ausgefeiltes System institutionalisierter Diskriminierung.

Die inoffizielle Begründung der amtlichen Ausländerfeindlichkeit ist die gleiche wie im von einer Protagonistin verlesenen Brief des Schwiegervaters: "Multikulti funktioniert bei Tanz und Musik." Wenn man sich beim Inselurlaub mit Blumenkette um den Hals und Kokosnuss-Drink in der Hand zu Hawaii-Klängen wiegt, mag man das in den Armen der Einheimischen tun. Solange man dort ist. In Österreich hat der Spaß ein Ende und wenn nicht, in jedem Fall die Ehegemeinschaft. Einige der binationalen Paare, denen Salomonowitz einen Kurzauftritt in abstrahierenden Rahmen gewährt, drohen die schikanösen Mechanismen auseinanderzutreiben. "Ich brauche Verwandte, die mir gewogen sind", erklärt eine Betroffene aus dem Off, "Ich brauche gute Nerven und viel Geld." Besonders letztes fehlt, spätestens nachdem erforderte Sprachkursen, Auslandskorrespondenz und Gerichtskosten es aufgezehrt haben. Das frustrierte Zerbrechen mancher Beziehung ist dabei kein Nebeneffekt, scheint es, sondern der eigentliche Zweck der nicht enden wollenden Anträge, Urkunden, Beglaubigungen und Über-Beglaubigungen.

Die 727 Tage ohne Karamo Jedes Dokument stellt die Partner vor eine neue Hürde und noch bevor man sie überwunden hat, ist dahinter schon die nächste in Sicht. Selbst denjenigen, die im Papierkrieg nicht kapitulieren, steht kein entspanntes Zusammenleben ins Haus. Stattdessen klopft der Scheinehekontrolleur, um Zahnbürsten und Wäschetrockner zu kontrollieren. Weilt etwa die Gattin allein zu Haus, da der immigrierte Mann schlicht auf Arbeit ist, dünkt das schon mal sehr verdächtig. Derartige Amts-Akte klingen wie Szenen des absurden Theaters, als das der dokumentarische Plot sie nachspielt. Der endlose Hindernislauf wird zum Spießrutenlauf, bei dem den Liebespaaren neben latenter Xenophobie unverhohlener Rassismus entgegenschlägt. "Was sind Sie überhaupt mit einem Schwarzen zusammen?", hört eine um ihren vermissten Mann besorgte Gattin auf dem Polizeirevier: "Der wird eh bei einer anderen Frau liegen." Tatsächlich saß er auf der Wache, wo man ihn zur Kontrolle vorsichtshalber festhielt. Nicht besser erging es seiner Frau, die den Fehler machte, von staatlicher Seite Hilfe zu erhoffen.

Getrennt voneinander verbringen auch Karamo und seine österreichische Familie ihren Jahrestag; den Jahrestag ihres letzten Beisammenseins vor Karamos Abschiebung. Letzte verhinderten weder Behördenwege, noch der Trauschein. Der scheint kaum mehr als ein armseliges Relikt gegenüber einer bürokratischen Bigotterie, gegen die das Individuum so machtlos ist wie gegen seine Gefühle. Liebe schützt vor Torheit nicht. Erst recht nicht der des Staates.  

Lida Bach / Wertung: * * (2 von 5) 
 

Quelle der Fotos: Amour Fou Vienna

 
Filmdaten 
 
Die 727 Tage ohne Karamo  
 
Österreich 2013
Regie & Drehbuch: Anja Salomonowitz;
Produzenten: Alexander Dumreicher-Ivanceanu, Bady Minck; Kamera: Martin Putz; Musik: Bernhard Fleischmann; Schnitt: Petra Zöpnek;

Länge: 80 Minuten; deutscher Kinostart: noch nicht bekannt
ein Film im Forum der 63. Berlinale 2013



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der Film im Katalog der 63. Berlinale 2013
<19.02.2013>


Zitat

"Ich freue mich, wenn es regnet. Denn wenn ich mich nicht freue, regnet es auch..."

Schauspieler und Komiker Karl Valentin

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