4. Oktober 2006

Dabei statt nur mittendrin


Deutschland. Ein Sommermärchen


Deutschland. Ein Sommermärchen: Michael Ballack mit Physiotherapeut Adolf KatzenmeierEin Film, dessen Entstehung lange im Voraus bekannt gewesen war, ein Film, der in seiner Entstehung seinerseits unter Beobachtung stand. Wie häufig haben nicht die Kameras der Öffentlich-Rechtlichen Sönke Wortmann und seine Kamera eingefangen während der Fußball-WM 2006, während der er wie selbstverständlich zum Tross der Nationalmannschaft gehörte, möglichst unauffällig mitfilmte. "Deutschland. Ein Sommermärchen", der Titel frei nach Heinrich Heine, ist in drei Monaten geschnitten worden, um die zeitliche Nähe zur WM zu wahren. Heraus kam eine trotz Zeitdrucks gelungene Reportage - allerdings nicht ad definitionem ein Dokumentarfilm.


Einige wollten nicht mitmachen. Was sollte der Film noch auf der Leinwand, bei der auf Kasse ausgerichteten medialen Kampagne? Manch Kinobetreiber verwies auf den geschäftsschädigend frühen Video-/DVD-Start und die kurz danach geplante TV-Erstausstrahlung. Aber, aber. Hat die Fußball-WM 2006 nicht anderes gelehrt? Der Fußballfan will nicht mehr allein sein. "Public Viewing" war eines der Schlagwörter des Jahres 2006. Wäre Deutschland beim Kinostart des "Sommermärchens" nicht bereits im kühlen Herbst angelangt, es sollten nochmal die öffentlichen Leinwände für den Film bereit stehen.

Deutschland. Ein Sommermärchen: Jürgen Klinsmann hält AnspracheDie Fans feierten einen Sommer lang. Sie feierten die Nationalmannschaft. Und sich selbst. Ihre Fähigkeit zum Feiern feierten sie. Allen, denen Sönke Wortmanns Film diese schöne Zeit zurückholen soll, werden verblüfft sein. Der Film zeigt davon nicht viel, im Verlauf des Films sukzessive zwar mehr und mehr davon; aber nie das Ereignis WM aus der berauschten Sicht der meisten Fans. Er zeigt vielmehr detailliert Männer bei der Arbeit. Bei der intensiven Vorbereitung, beim akribischen Entwerfen von Schlachtplänen, von taktischem Vorgehen nicht nur auf dem Spielfeld. Würden nicht speziell Lukas Podolski und Bastian Schweinsteiger von Zeit zu Zeit jungenhaften Frohsinn vor Wortmanns Kamera an den Tag legen, pubertierend respektlos das noble Berliner Hotel Grunewald zu einer Art Jugendlager umfunktionieren, der Fan glaubte, er sei im falschen Film.

Deutschland. Ein Sommermärchen: Lukas Podolski und Bastian SchweinsteigerDen Stab der Nationalmannschaft stellt Wortmann durch Interviews vor oder durch zufällig eingefangene Statements, von den Physiotherapeuten über die Fitnesstrainer und den Busfahrer bis zur Friseurin, die Miroslav Klose einen Stammfriseur empfehlt. Dieses gesamte Team wird bei Wortmann zu einem Mikrokosmos, der sich zur Konzentration öffentlich weitestgehend abschottet. Nicht das Ereignis Weltmeisterschaft, wie man als Außenstehender es erlebt hat, ist bei Wortmann wiederzusehen. Primär setzt Wortmann all diese Leute hinter den Kulissen ins Bild, die die Kernmannschaft ergänzen, von deren Masse auch der besser informierte Fan nur eine theoretische Vorstellung hatte. Unterbrochen dann und wann von unerwartet kurzen, kommentarlosen Bildern der Spiele selbst. Kurz, Wortmann demonstriert das Unternehmen, das auf Profis setzt, das nichts dem Zufall überlässt. Das zu einem Erfolgsunternehmen wird entgegen den allgemeinen Erwartungen, übertreffend die Hoffnungen der Verantwortlichen um Jürgen Klinsmann, Joachim Löw & Co.; wäre nicht die zweite Nacht von Dortmund gewesen, das Ausscheiden gegen den späteren Weltmeister Italien im Halbfinale. Es stellt nach dem Eilen der Mannschaft von Erfolg zu Erfolg einen Wendepunkt in Wortmanns Film dar, wie er auch selbst, außerhalb des Films, erläuterte. Für Wortmanns persönliches Empfinden nicht, aber für die Dramaturgie des Films war das Ereignis gut: Auf die zunächst erreichten Siege folgt der Absturz durch das plötzlich nicht mehr für möglich gehaltene Ausscheiden aus dem Turnier mit einer Auferstehung im kleinen Finale. Das Team als Phönix aus der Asche erringt in Trotzreaktion den dritten Platz und genießt das Feuerwerk am Nachthimmel. Die Mienen der Beteiligten zeigen dann Erschöpfung wie Erleichterung über das dann auslaufende Geschehnis.

Deutschland. Ein Sommermärchen: David Odonkor in StuttgartEs sind Bilder, wie der Zuschauer sie sowieso kannte, dank ARD und ZDF, könnte man hier kritisieren. Aber der Kontext ist ein anderer. Die Bilder stehen jetzt im Zusammenhang mit dem, wovon der Film in 90 Minuten plus Verlängerung gehandelt hat. Wie das Feuerwerk über dem abgedunkelten Stuttgarter Stadion den Schlusspunkt setzt unter die konsequente - und von Wortmann konsequent gezeigte - Teamarbeit abseits der Öffentlichkeit. Davon sollte der Film berichten. Das hat er getan und musste dabei der Tatsache Tribut zollen, dass bei allen Planungen und professionellen Ausführungen des Teams manches nicht vorhersehbar war und sich ergab. Ein nahezu interaktiv von den Beteiligten gestalteter Film im Reportagestil ist das Ergebnis, dem die menschliche Tiefe eher abgeht, vom Torhüterstreit um Oliver Kahn und Jens Lehmann abgesehen. Eine weiterreichende Selbstentblößung gibt es nicht. Was hier dem Film scheinbar fehlt, entäußert vielmehr implizit das Erscheinungsbild der Fußballprofis, die eben auch Medienprofis sind und wissen, wie sie mit Emotionen vor der Kamera hauszuhalten haben. Diesen nicht weiter nutzlos nachzuforschen, ist Sönke Wortmann, dem einstigen Zweitliga-Profi, anzurechnen. "Deutschland. Ein Sommermärchen" ergibt so einen abgerundeten Eindruck von professionellen Dienstleistern inklusive der Spieler im gemeinsamen Streben nach einem Erfolg, dem Erfolg ihres Lebens.

Deutschland. Ein Sommermärchen: Jubel in der KabineAls integrierter Teamplayer während der WM schnappt sich Wortmann nach der WM nun auch ein Stück vom Kuchen des Erfolgs. Sein Film wird sein Geld einspielen. So zeigt sich Wortmann als der ebenso am Erfolg orientierte Profi, dessen Film, leider sehr durchschaubar, siehe die kurze Karenzzeit zum Kinostart, vornehmlich aus dem Grund seine Existenz verdankt.

 
Michael Dlugosch / Wertung: * * * (3 von 5)

Quelle der Fotos: Kinowelt


Filmdaten

Deutschland. Ein Sommermärchen


Deutschland 2006
Regie: Sönke Wortmann;
Mitwirkende: Gerald Asamoah, Michael Ballack, Oliver Bierhoff, Tim Borowski, Christofer Clemens, Klaus Eder, Doris Fitschen, Shad Forsythe, Craig Friedman, Torsten Frings, Hans-Dieter Hermann, Wolfgang Hochfellner, Oliver Kahn, Adolf Katzenmeier, Jürgen Klinsmann, Miroslav Klose, Horst Köhler, Philipp Lahm, Jens Lehmann, Joachim "Jogi" Löw, Gerhard Mayer-Vorfelder, Angela Merkel, Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt, Oliver Neuville, David Odonkor, Lukas Podolski, Oliver Schmidtlein, Bernd Schneider, Bastian Schweinsteiger, Urs Siegenthaler, Harald Stenger, Marc Verstegen, Theo Zwanziger u.a. (Auswahl nach Bedeutung für den Film, alphabetisch geordnet); Produktion: Tom Spieß; Little Shark Entertainment in Koproduktion mit der WDR Mediagroup; Creative Producer: Heinrich Hadding; Kamera: Sönke Wortmann, Frank Griebe; Musik: Marcel Barsotti; Länge: 108 Minuten; FSK: ohne Altersbeschränkung; ein Film im Verleih von Kinowelt




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Deutschland. Ein Sommermärchen
<05.10.2006>  



Zitat

"Ich freue mich, wenn es regnet. Denn wenn ich mich nicht freue, regnet es auch..."

Schauspieler und Komiker Karl Valentin

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