01.07.2015
Verfall einer Kultfigur

Der Papst ist kein Jeansboy


Der Papst ist kein Jeansboy: Filmplakat Der Berliner Filmemacher und Schriftsteller Sobo Swobodnik hat mit "Der Papst ist kein Jeansboy" einen Dokumentarfilm über das Schicksal eines TV-Stars gedreht. Hermes Phettberg ist ein Wiener Original und einstige Kultfigur der 1990er Jahre. Phettbergs Talkshow war auch in Deutschland auf 3Sat zu sehen. Hermes Phettberg geht es heute schlecht. Er macht nur noch Trippelschritte, leidet an den Folgen gleich mehrerer Schlaganfälle, eines Herzinfarkts und einer Gehirnblutung und pinkelt wegen einer Blasenschwäche schon mal zwischen parkenden Autos auf die Straße. Der kranke Phettberg ist Sozialhilfeempfänger. Dessen mühsamen Alltag hielt Swobodnik 2011 akribisch mit der Kamera fest.
Swobodnik wirft keinen Blick zurück auf alte Zeiten. Er zeigt die unschöne Gegenwart von 2011, den Verfall eines Menschen. Der Zuschauer, der Phettberg nicht kennt, ist in diesem Film nicht gut aufgehoben.

"Frucade oder Eierlikör?" Mit der Frage nach dem für das Gespräch gewünschten Getränk begrüßte Hermes Phettberg jeden Gast in seiner Talksendung "Phettbergs Nette Leit Show". In ihr zeigte Phettberg, dass er als Talkmaster in seiner unkonventionellen Art genial war. Einmal erweiterte Phettberg seine Einstiegsfrage um eine weitere Frage: "Homo oder Hetero?" Da war Schauspieler Tobias Moretti zu Gast. Denn Phettberg ist bekennender Homosexueller und Sadomasochist. In jeder der 25 produzierten Sendungen ging es nicht nur um die Person des Eingeladenen und den mit ihm geführten Talk. Jede Sendung nutzte Phettberg auch, um auf seine sexuellen Vorlieben hinzuweisen.

Der Papst ist kein Jeansboy: Hermes Phettberg Das war einmal. Zwar hat Phettberg viel abgenommen: Die früheren 170 Kilo sind auf jetzt etwa 70 Kilo reduziert. Aber er hat mehrere schwere Krankheiten überstanden. Ein Wunder, dass er überhaupt noch lebt. Wegen den Schlaganfällen spricht Phettberg jeden Satz mehrfach hintereinander, nuschelnd, er kann nicht anders. Auch wenn man es nicht immer sofort merkt, in ihm steckt noch ein kluger Geist. Phettberg schreibt eine regelmäßig erscheinende Kolumne im Wiener Magazin "Falter". Schriftlich festgehaltene Gedanken, die er selber nicht mehr vortragen kann, spricht im Film im Off ein anderer bekannter Österreicher: der Schauspieler und Kabarettist Josef Hader. Darunter die gedichtähnliche Überlegung mit der als Filmtitel verwendeten Aussage "Der Papst ist kein Jeansboy". Trotzdem: Der Zerfall des Menschen Phettberg ist nicht nur körperlicher Natur. Seine Gedanken und Anmerkungen zu unserer Gegenwart, unter anderem zur Religion, sind manchmal nur trivial und wenig originell.

Der ganze Film ist in schwarz-weiß gedreht. Regisseur Sobo Swobodnik demonstriert damit Respekt vor den Leiden, aber auch vor der Widerstandsfähigkeit Phettbergs. Zwischen die Bilder schneidet Swobodnik immer wieder Inserts, Inschriften aus öffentlichen Wiener Toiletten: Mann sucht Mann. Die Formulierungen erinnern den Zuschauer daran, was Phettberg nicht mehr oder höchstens selten selber miterleben kann, Zuneigung, Liebe, Sex. Glück in der Zweisamkeit.

Swobodnik lässt die wenigen Freunde zu Wort kommen, die Phettberg noch hat, darunter Kurt Palm, den Initiator der "Nette Leit Show". Eine besonders bittere Episode: Einer der Freunde berichtet über ein Gespräch Phettbergs mit Christoph Schlingensief. Der sagte, sie seien beide bald nicht mehr da. Phettberg ist noch da, Schlingensief nicht, er starb an Krebs.

Der Papst ist kein Jeansboy: Hermes Phettberg Auf die Vergangenheit geht Swobodnik nie ein, er zeigt nie Ausschnitte aus "Phettbergs Nette Leit Show". Damit wirkt Swobodniks Film nie sentimental. Der Nachteil: Wer einst die "Nette Leit Show" nicht gesehen hat, kann heute mit Hermes Phettberg nicht viel anfangen. Der Zuschauer erlebt nur das körperliche Wrack, nicht aber die einst stolze, kluge, witzige, wenn auch zu fette Person. Man sieht nur den "Scheiterhaufen" (Phettberg über sich). Zuschauern, die den Mann nicht von früher kennen, muss man den Besuch des Films eigentlich abraten. Es sei denn, man zeigt als Zuschauer Empathie, Mitgefühl für einen Mann, mit dem es das Schicksal nicht gerade gut gemeint hat.

Der Film, Ende 2011 gedreht, kommt jetzt in die deutschen Kinos, nachdem er 2012 beim Filmfestival Max Ophüls Preis mit dem Preis als Bester Dokumentarfilm ausgezeichnet worden war und bei weiteren Festivals Interesse weckte.

Für Hermes Phettberg brachte der Film noch ein besonderes Erlebnis. Am 16. Juni 2015 luden Verleiher W-film und Regisseur Swobodnik mit Phettberg zur Filmpremiere in die Berliner Kultdisco Berghain. Ein denkwürdiger Abend für Phettberg: Er wurde dort in einer szenischen Einrichtung von Jeansboys mit Peitschen gezüchtigt. Der Sadomasochist durfte doch noch ein Stück Glück erleben.  

Michael Dlugosch / Wertung: * * * (3 von 5) 
 

Quelle der Fotos: W-film

 
Filmdaten 
 
Der Papst ist kein Jeansboy  
 
Österreich 2012
Regie: Sobo Swobodnik;
s/w; Mitwirkende: Hermes Phettberg, Kurt Palm, Josef Hader (Sprecher) u.a.; Länge: 74 Minuten; ein Film im Verleih von W-film Distribution; deutscher Kinostart: 2. Juli 2015



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<01.07.2015>


Zitat

"Ich freue mich, wenn es regnet. Denn wenn ich mich nicht freue, regnet es auch..."

Schauspieler und Komiker Karl Valentin

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