26. Oktober 2000

Sissi kämpft

Der Krieger und die Kaiserin

Der Krieger und die Kaiserin Durch "Lola rennt" (1998) wurde Tom Tykwer zum nicht nur in Deutschland beachteten Regisseur, und seine Lebensgefährtin Franka Potente stieg zum Filmstar auf, der auch in Hollywood drehen darf. Zwei Jahre später versuchen Potente und Tykwer durch eine weitere Gemeinschaftsarbeit an den Erfolg anzuschließen. "Der Krieger und die Kaiserin" ist eine Liebesgeschichte mit düsteren Bildern.

Auf Tom Tykwer lastete vor "Der Krieger und die Kaiserin" ein Erfolgsdruck: Man erwartete von ihm einen ähnlichen Film wie "Lola rennt", einen ähnlich temporeichen Film, das heißt: einen ähnlich erfolgreichen Film; sogar der amerikanische Markt sicherte sich die Vermarktungsrechte. Es beeindruckte Tykwer wenig. "Der Krieger und die Kaiserin" hat ein quälend langsames Tempo, ein Tempo, das den Ekel seiner Figuren vor der Welt bis ins letzte Detail demonstriert. In dem Film wird nicht gerannt, so wie in "Lola rennt"; nur einmal, und das ist als Reminiszenz an den vorangegangenen Film Tykwers zu verstehen. Diese Szene, Bodo (Benno Fürmann) ist auf der Flucht vor Automechanikern, denen er etwas geklaut hat, läutet die Schlüsselszene des Films ein. Denn Bodo kann der Psychiatrie-Krankenpflegerin Simone, genannt "Sissi" (Franka Potente), nach einem Unfall per Luftröhrenschnitt das Leben retten. Es ist das erste Mal, dass die "Kaiserin", "Sissi", auf ihren "Krieger", den Ex-Bundeswehrsoldaten Bodo, trifft. Fortan muss sie wissen, wer er ist; denn sie, die bis dahin ein kärgliches Leben führte inmitten von Psychiatrie-Patienten, erfährt erstmals etwas, das sie vorher nicht kannte: Was es heißt, verliebt zu sein. Wie im Märchen hilft nur ein Kleidungsstück, ihn wieder zu finden, ein Knopf. Sie findet ihren Retter tatsächlich wieder, doch er will nichts von ihr wissen. Ihn hat die Vergangenheit nicht losgelassen, seine Frau starb bei einem Unglück. Er hat nur noch ein Ziel: Mit dem Bruder Walter (Joachim Król) eine Bank zu überfallen, und dann: weg. Dorthin, wo die Heimatstadt Wuppertal am weitesten entfernt ist, nach Australien.

Der Krieger und die KaiserinZum Zeitpunkt, an dem "Der Krieger und die Kaiserin" in die deutschen Kinos kam, drehte Tykwer bereits "Heaven" nach einem Drehbuch des verstorbenen polnischen Regisseurs Krysztof Kieslowski. Sind die Ideen des Polen Vorbild für Tom Tykwer? Tykwer hat diese Frage verneint, aber Bezüge fallen immer wieder auf. Schon Kieslowski hat in "Der Zufall" ("Przypadek", 1982) Geschichten wiederholt erzählt, aber jeweils mit Unterschieden, so wie später Tykwer in "Lola rennt", und Kieslowski führte in seinem Gesamtwerk immer wieder per Schicksalsbegegnungen Menschen zusammen - so wie Tykwer hier Sissi und Bodo.

Schicksal als lebensveränderndes Element für zwei Menschen, denen das Leben übel mitgespielt hat. Könnte jetzt für beide, nachdem sie sich kennen gelernt haben, alles besser werden? Aber Tykwers Film ist ein Werk, das dem Zuschauer von der ersten bis zur letzten Minute Qualen der Realität zumutet. Bodo lernt man als Hilfsarbeiter im Leichenschauhaus kennen, seine Gefühle schwanken zwischen der brutalen Kämpfernatur des Soldaten und der Depression eines seelischen Wracks, Sissi ist als Krankenschwester so sehr mit ihren Patienten verbunden, dass sie keine emotionelle Distanz mehr zu den dortigen Geschehnissen hat. Da alles schief geht, was in beider Leben schief gehen konnte, weiß der Zuschauer von vornherein, dass auch der Überfall scheitert und ein Erreichen Australiens Utopie bleiben wird. Die "Kaiserin" kämpft um ihren "Krieger" und kann sich als rettender Engel erweisen, wie er umgekehrt vorher für sie: Sie hilft ihm, der Polizei zu entkommen. Dass beide nicht aufgeben, sondern weiter kämpfen, steht symbolisch für den Versuch der Flucht aus dem Bisherigen. Geht aber Sissis Traum auch in Erfüllung, dass Bodo sich ihr emotionell öffnen kann? Oder bleibt ihnen beiden die Depression erhalten?

Der Krieger und die KaiserinTykwer setzt Bilder ein, die ihresgleichen suchen. Psychische Beklemmung wurde selten so ideal auf der Leinwand dargestellt wie hier - an solchen Stellen verwendet der Film keine überflüssigen Dialoge, während andere Regisseure dabei nicht auf sie verzichten könnten. Dann reichen Mimik und Gestik der beiden hervorragend von Tykwer eingesetzten Hauptdarsteller aus, um die Seelenqual ihrer Figuren zu vermitteln.

Leider übertreibt Tykwer darin. Er will so viele Emotionen, so viel Elend und soviele Schicksale wie möglich in "Der Krieger und die Kaiserin" unterbringen. Damit bricht der Film unter seiner eigenen Last, einem an Ekel vollgestopften Inhalt, fast zusammen. Tykwer verliert aber sein Hauptthema nie aus dem Blick: Es geht um die Rettung der Gefühle vor ihrer endgültigen Zerstörung. "Der Krieger und die Kaiserin" ist ein Film über die Liebe - aber kein Film für verliebte Pärchen, es sei denn, sie wissen die Bedeutung der Liebe in harten Zeiten zu verstehen.  

Michael Dlugosch / Wertung: * * * (3 von 5)

Quelle der Fotos: X-Verleih


Filmdaten

Der Krieger und die Kaiserin

(Titel für den englischsprachigen Markt: The Princess and the Warrior)
Deutschland 2000
Regie und Drehbuch: Tom Tykwer ("Winterschläfer", "Lola rennt"); Produktion: Stefan Arndt, Gebhard Henke, Katja De Bock, Maria Köpf; Kamera: Frank Griebe; Musik: Reinhold Heil, Johnny Klimek, Tom Tykwer;
Darsteller: Franka Potente (Simone "Sissi" Schmidt), Benno Fürmann (Bodo Riemer), Joachim Król (Walter Riemer), Marita Breuer (Sissis Mutter), Lars Rudolph (Steini), Jürgen Tarrach (Schmatt), Melchior Beslon (Otto), Ludger Pistor (Werner Dürr), Georg-Martin Bode (Bank-Filialleiter) u.a.

Länge: 129 Minuten; FSK: ab 12 Jahren



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