10.08.2012
Yes, the River knows...

Der Fluss war einst ein Mensch


Der Fluss war einst ein Mensch: Alexander Fehling "Ich komme weit", sagt der hellhäutige Besucher (Alexander Fehling) zu dem Fischer (Sariqo Sakega), ohne eine Vorstellung davon, welch umfassende Bedeutung die Aussage für ihn bekommen wird. Weit gekommen ist der andere schon, als er sie ausspricht. Von der Zivilisation in die Natur, von Europa nach Afrika. Dort liegt der faszinierend und furchterregend fremde Schauplatz von Jan Zabeils philosophischer Filmstudie "Der Fluss war einst ein Mensch": eine unbenannte Gegend in einem unbenannten Land, für die der Kulturkreis des Akteurs nur eine unzureichende Umschreibung besitzt: Wildnis.

Der Begriff, der unausgesprochen über dem Szenario schwebt, symbolisiert ein Umfeld, das landschaftlich und geistig so erhaben ist, dass es kein Wort dafür gibt. Zumindest nicht in den westlichen Sprachen, in denen sich der Besucher während einer Rast auf seiner Flussfahrt am Lagerfeuer mit seinem Begleiter zu unterhalten versucht. Die zentralen Figuren der minimalistischen Erzählung, von der Regisseur und Darsteller sich zu übermächtigen Themen leiten lassen, sind Sinnbilder des kulturellen und spirituellen Gegensatzkonzepts des Films. Ein alter Mann und ein junger, ein Schwarzer und ein Weißer, ein Einheimischer und ein Fremder, ein Fährmann und Fährgast. Ihn stakt der Fischer im Einbaum entlang des von Schilf überwucherten Flusslauf, der den Weg des Reisenden bestimmt: fort von der gewohnten Erfahrungswelt zu einem elementaren Überlebenskampf.

Der Fluss war einst ein Mensch: Alexander Fehling (rechts) Im Augenblick, als der des Alten vorüber ist, beginnt der des Jungen. Zu den dramaturgischen Kontrastbildern gesellen sich weitere. Eines ist das von Lebendigem und Leiche, das andere das von Führer und Verirrtem. Als solcher erwacht der Fremde am Ufer. Der Fischer ist nachts von ihm gegangen. "Lass uns schlafen gehen", sagt er und tut es, ohne je wieder aufzuwachen. "Wohin gehst du?", fragt er zu Beginn den Reisenden, dessen "Ich weiß nicht" weiteren Sinn gewinnt. In offener Landschaft verborgen vor aller Augen außer dem von Jakub Bejnarowicz' Kamera, beginnt ein stilles Kräftemessen mit der Natur. Ihren Sieg prophezeit der Einheimische indirekt, als er dem Fremden seine Heimat erklärt: "Hier ist das Haus der Tiere." Zu einem von ihnen wird der Fischer nach dem Tod. Das hört dessen Sohn (Obusentswe Dreamar Manyim) von einem Weisen, den er wegen des unbeerdigten Leichnams befragt. Ein ruheloser Geist, wie der Fischer es dem Glauben nach wird, treibt auch den erst geistig, dann real verlorenen Protagonisten.

Er ist ein Schauspieler, dessen Erleben von dem Fehlings zu trennen unmöglich wird. Fiktive und wahre Persönlichkeit verschmelzen in der filmischen Lyrik, ebenso wie Spiritualität und Physis, Diesseits und Jenseits, Wirklichkeit und Imagination. Letzte überlässt die hypnotische Verknüpfung unerschöpflicher und somit letztendlich unergründlicher Symbole, die schon im Titelsatz "Der Fluss war einst ein Mensch" beginnt, dem Zuschauer. Zabeils Kinokunst, in der Dokumentation und Fiktionalität einander treffen, ist hingegen instinktiv. Sie enthüllt die Distanz des Weißen zur Natur dort, wo sie aufgehoben scheint. Diese unsichtbare Grenze enthüllt die Begegnung mit Dorfbewohnern, gegenüber deren unübersetzten Gesprächen die fragenden Worte des Fremden zu bedeutungslosen Lautmalereien werden: Phone. Road. Car. Map. Der Möglichkeit namentlicher Benennung beraubt, wird auch er namenlos: ein von matten Erinnerungen befreiter Fährgast auf den Wassern des Styx.  

Lida Bach / Wertung: * * * * (4 von 5) 
 

Quelle der Fotos: Filmgalerie 451

 
Filmdaten 
 
Der Fluss war einst ein Mensch  
 
Deutschland 2011
Regie: Jan Zabeil;
Darsteller: Alexander Fehling, Obusentswe Dreamar Manyim, Nx'apa Motswai, Sariqo Sakega u.a.;
Drehbuch: Alexander Fehling, Jan Zabeil; Produktion: Benny Drechsel, Karsten Stöter, Jan Zabeil; Kamera: Jakub Bejnarowicz; Schnitt: Florian Miosge;

Original mit deutschen Untertiteln; Länge: 83,19 Minuten; FSK: ab 6 Jahren; ein Film im Verleih der Filmgalerie 451; deutscher Kinostart: 27. September 2012



Artikel empfehlen bei:  Mr. Wong Delicious Facebook  Webnews Linkarena  Hilfe

© filmrezension.de

home
  |  regisseure/schauspieler   |  e-mail
 über uns  |  impressum  


 
 
 
 
 
Offizielle Seite zum Film
<10.08.2012>


Zitat

"Ich freue mich, wenn es regnet. Denn wenn ich mich nicht freue, regnet es auch..."

Schauspieler und Komiker Karl Valentin

Drucken

Artikel empfehlen
Mr. Wong Delicious Facebook Webnews Linkarena 
Hilfe