Juli 2001

Zu viel versprechend

Deep in the Woods
- Allein mit der Angst

Der Debütfilm des Franzosen Lionel Delplanque hat als Leitmotiv die Geschichte vom Rotkäppchen und dem bösen Wolf. Während er durch seine unkonventionellen Bilder besticht, gerät Deep in the Woods jedoch zu einem Film, der nach bekannten Genremustern verläuft, schließlich enttäuscht und die anfänglichen Erwartungen nicht erfüllen kann.

Durch das Schlüsselloch schleicht die Kameralinse in eine Kammer, in der eine junge Frau am Bett ihres Sohnes sitzt und ihm vor dem Einschlafen die Geschichte von Rotkäppchen und dem bösen Wolf vorliest. Die Kamera nähert sich von hinten, dann fährt sie um die Mutter herum. Während die Frau noch ein Kinderlied singt, schnellt eine Stahlschlinge um ihren Hals. Vor den Augen des Kindes wird die Mutter qualvoll erdrosselt. Der Täter bleibt verborgen, nur zwei schwarz behandschuhte Hände zeugen von dem Mörder.

Ausschnitt Kinoplakat

Die Stilisierung mit einer eindrucksvollen Farb- und Lichtgebung, die an Filme des italienischen Regisseurs Dario Argento (u.a. Das Geheimnis der schwarzen Handschuhe, 1970; Profondo Rosso, 1976) erinnert, macht diese Eingangsszene zu der ersten von mehreren Bilderfolgen, die im Kopf bleiben werden. Deep in the Woods führt von Beginn an vor, wie sehr der Zuschauer auf Szenenverläufe, Kameraperspektiven und Schnittfolgen konditioniert ist, entlarvt gewohnte formale Muster und findet neue, auch ungewöhnliche Darstellungen. Der Film vermengt dabei Märchen, Traum und Realität und gleitet oft in eine surreale Atmosphäre.

Rotkäppchen, die 26. Erzählung in den Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm von 1812, ist sicherlich eine der bekanntesten und beliebtesten dieser Sammlung. Bereits Neil Jordan gelang in seinem bemerkenswerten Film Zeit der Wölfe (Company of the Wolves, 1983) eine allegorische Erzählung, die die tiefenpsychologischen Aspekte dieses Märchens aufgriff. Dieser Thematik der Geschichte von dem kleinen Mädchen und dem bösen Wolf nimmt sich nun auch Deep in the Woods - Allein mit der Angst an, der erste Spielfilm des Franzosen Lionel Delplanque.

Filmszene

Ein junges Schauspielerensemble mit drei Frauen und zwei Männern wird von dem Schlossbesitzer Baron Axel de Fersen engagiert, um am Geburtstag seines Sohnes das Stück Rotkäppchen und der böse Wolf aufzuführen. Während sie durch das Tor zum Schloss gelangen, werden sie von einem tiefschwarzen Raben begrüßt und auch das von einem Wald umschlossene Anwesen bietet keinen Vertrauen erweckenden Anblick. Der Gastgeber, Axel de Fersen, ist ein exzentrischer, alter Mann, der im Rollstuhl sitzt. Er lebt allein mit seinem undurchsichtigen Wildhüter Stéphane und seinem verstörten, zehnjährigen Sohn, der kein Wort über die Lippen bringt. Weil das Schloss sehr abgelegen liegt, beziehen die fünf jungen Leute ein Zimmer für die Nacht. Unterdessen erreicht die Gruppe die Nachricht, dass ein gesuchter Frauenmörder in der Nähe sein Unwesen treibt.

Filmszene

Das Motiv des Rotkäppchen verliert sich jedoch und wird im weiteren Verlauf immer weiter zurückgedrängt. Von Handlung und Deutung des Märchens bleibt nichts zurück. Allenfalls der warnend-pädagogische Duktus von Perraults ältererer Fassung der Rotkäppchen-Erzählung, in der das schuldige Mädchen nicht wieder zum Leben erweckt wird, scheint hindurch. Der gehört aber vielmehr zum Repertoire klassischer Horrorfilme, auch wenn sie sich nicht genau mit dieser Geschichte befassen. Die eingeführte Erzählung von Rotkäppchen und dem bösen Wolf wird planlos ergänzt: Zitate von Peter und der Wolf finden sich ebenso wie vom Erlkönig. Sie spiegeln sich im Film nicht wider, werden nicht integriert und verkommen so zu Phrasen. Stattdessen verfällt Deep in the Woods bekannten Genreklischees: Schnell treibt sich die Gruppe der jungen Schauspieler selbst auseinander, weil sie sich gegenseitig verdächtigen, und Tote leben länger, als man denkt. Die Geschichte endet mit Feuer und Lärm, der nur wegen seiner Diffusion in das Gesamtbild passen will. Die Personen werden nie ausdifferenziert. Letztendlich besteht die Schauspielergruppe aus austauschbaren Personen, die sich nur unwesentlich unterscheiden.

Schließlich ist die Enttäuschung groß über einen zu Anfang formal und thematisch viel versprechenden Film. Auf dem Weg zu einem innovativen Werk war der frische Atem von Lionel Delplanque zu kurz. Fast möchte man ihn zurück an das Set zerren, um ihm die Aufgabe zu geben, er möge seinem Film nach der Dauer einer Viertelstunde eine neue Fortsetzung geben und ihn so fortführen, wie er bis dahin begonnen hatte.  

Philipp Wallutat / Wertung: * * (2 von 5)

Quelle der Fotos: Arthaus Filmverleih


Filmdaten

Deep in the Woods - Allein mit der Angst
(Promenons - Nous Dans Les Bois)

Frankreich 2000
Regie: Lionel Delplanque; Drehbuch: Annabelle Perrichon; Kamera: Denis Rouden; Schnitt: Pomme Zhed; Kostüme: Edith Bréhat; Musik: Jérôme Coullet; Darsteller: Clotilde Courau (Sophie), Clément Sibony (Mathieu), Alexia Stresi (Jeanne), Vincent Lecoeur (Wilfried), Maud Buquet (Mathilde), Francois Berléand (Axel de Fersen), Denis Lavant (Stéphane), Marie Trintignant (Mutter), Michel Muller (Polizist) u.a.

Länge: 90 Minuten: FSK: nicht unter 18 Jahren.



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