19.02.2008
Das Ende des Amerikanischen Traums

Das Streben nach Glück


Der amerikanische Traum ist tot – so lautete vor drei Jahren die Diagnose des amerikanischen Professors Jeremy Rifkin. In seinem Buch "Der europäische Traum" beschrieb er, wie das große Versprechen der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung – "Life, liberty, and the pursuit of happiness" – sich für immer weniger Amerikaner erfüllt: Der Tellerwäscher bleibt Tellerwäscher, der Millionär bleibt Millionär. Sieht man sich einen Film wie "The Pursuit of Happyness" – "Das Streben nach Glück" – an, ahnt man: Der Mann könnte Recht haben!

Erzählt wird das alte Aufsteigermärchen: Christopher Gardner (Will Smith) ist einer von Millionen Menschen, die sich irgendwie durch den Alltag schlagen. Seine Geschäftsidee, spezielle Röntgengeräte zu verkaufen, ist grandios gescheitert. Seitdem versucht er verzweifelt wenigstens die Familie durchzubringen. Doch Gardner hat noch etwas, das ihn von seinen Mitmenschen unterscheidet: Den Willen aufzusteigen. Nachdem ihm jemand im Scherz darauf hinweist, dass man keinen Universitätsabschluss brauche, um Broker zu werden, glaubt er einen Weg aus seinem deprimierenden Alltag gefunden zu haben: Per Praktikum in das Brokergeschäft einsteigen. Tatsächlich aber geht sein Leben von nun an erst richtig bergab...

Das Märchen des italienischen Regisseurs Gabriele Muccino überrascht vor allem mit einem grandiosen, zurecht Oscar-nominierten Will Smith in der Hauptrolle. Wer Smith überwiegend als gewitzten Actionhelden kennt, wird ihn als von Sorgen aufgeriebenen, aber nie aufgebenden Familienvater kaum wiedererkennen. Höhepunkt seiner Schauspielkunst ist die Szene, in der er nachts zusammen mit seinem Sohn (gespielt von seinem eigenen Sohn Jaden) nach einer Unterkunft sucht. Am Ende müssen die beiden in einer schäbigen Bahnhofstoilette übernachten. Um dem erschöpften Sohn das Bewusstsein für diese Demütigung zu ersparen, tut Gardner, als seien die beiden in die Steinzeit gereist und müssten vor "Dinosauriern" in eine Höhle fliehen. Eine so anrührige Vater-Sohn-Szene gab es das letzte Mal in Roberto Benignis KZ-Komödie "Das Leben ist schön" ("La Vita è bella", 1997).

Zu diesem Eindruck trägt auch Muccinos Kunst der subtilen Andeutung bei. Gardner ist nicht bloß arm, er muss eine Doppelrolle spielen: Mit dem Sohn irgendwie über die Runden kommen und zugleich vor den arroganten white-collar Kollegen nicht das Gesicht verlieren. Wenn sein Vorgesetzter ihn etwa nach 5 Dollar für das Taxi fragt und er auf die wenigen Banknoten in seiner Geldbörse - sein ganzes Kapital! - schaut, dann wird deutlich, welche Gewissensnöte ihm die vermeintliche Nebensächlichkeit bereitet. Dieses Feingespür ist umso bemerkenswerter, da die Moral von "Das Streben nach Glück" ziemlich plump ist.

Der Film endet nämlich mit einem kaum mehr für möglich gehaltenen Happy End. Viel wichtiger noch: Im Abspann taucht der Hinweis auf, dass der echte Gardner sich kurz nach seiner Anstellung als Broker selbstständig gemacht und 2006 Multimillionär wurde. Es ist also kein Märchen, will das heißen. Keine Frage: Der wahre Christopher Gardner ist ein beeindruckender Mensch und Philanthrop. Doch hatte der Mann, der tatsächlich eine Zeitlang mit seinem zweijährigen Sohn unter Obdachlosen leben musste, es nicht ganz so schwer, wie im Film dargestellt. So war das mehrmonatige Praktikum keineswegs unentgeltlich, eine Hürde, die selbst der ambitionierte, aber mittellose Gardner nicht hätte überwinden können. Dieses Detail ist symptomatisch für den Film: Eine ausnehmende Lebensgeschichte wird zu einem Mythos verklärt - eben den des Amerikanischen Traumes.

Das bewegt sich keineswegs im Rahmen des Genreüblichen. Das klassische Aufstiegsmodell, in dem jeder, der nur hart genug arbeitet, belohnt wird, erfährt geradezu eine Apotheose. Zu Anfang des Films sagt Gardner, er wolle für seinen Sohn niemals das sein, was sein eigener Vater ihm war: abwesend. Trotz dieses Anspruchs entscheidet er sich gerade für eine der arbeitsintensivsten Branchen überhaupt. Wie viel mag Sohnemann da von seinem Vater noch gesehen haben? Einen Schwenk über Broker, die aus Glastürmen in ihre Mittagspause ausschwärmen, kommentiert Gardner mit den ironiefreien Worten, dass diese Menschen glücklich aussähen. Gewiss glücklicher als ein Obdachloser. Aber auch solcher Idealisierung wert?

Jeremy Rifkin glaubt, dass Europa den Amerikanischen Traum ablösen könnte. Er nennt viele Bereiche, in denen das möglich sei. Einer von ihnen betrifft die verschiedenen Lebenskonzeptionen. Die Amerikaner würden der Arbeit willen arbeiten, die Europäer indes um des Lebens willen. "Das Streben nach Glück" zeigt, welche Verrenkungen nötig sind, um die Ideologie der "working poor" am Leben zu erhalten. Mit Rifkin: R.I.P.  

Thomas Hajduk  / Wertung:   * * * (3 von 5) 
 

 

 
Filmdaten 
 
Das Streben nach Glück (The Pursuit of Happyness) 
 
USA 2006
Regie: Gabriele Muccino;
Darsteller: Will Smith (Chris Gardner), Jaden Christopher Syre Smith (Christopher), Thandie Newton (Linda), Brian Howe (Jay Twistle), James Karen (Martin Frohm), Dan Castellaneta (Alan Frakesh), Kurt Fuller (Walter Ribbon), Takayo Fischer (Mrs. Chu) u.a.; Drehbuch: Steve Conrad; Produktion: Todd Black, Jason Blumenthal, James Lassiter, Will Smith, Steve Tisch; Ausführende Produzenten: David Alper, Mark Clayman, Louis D'Esposito, Christopher P. Gardner, Teddy Zee; Kamera: Phedon Papamichael; Musik: Andrea Guerra; Länge: 117 Minuten; FSK: ohne Altersbeschränkung; ein Film im Verleih von Sony Pictures; deutscher Kinostart: 18. Januar 2007



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"Ich freue mich, wenn es regnet. Denn wenn ich mich nicht freue, regnet es auch..."

Schauspieler und Komiker Karl Valentin

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