23.03.2011
Das Schmuckstück
Freiheit, Gleichheit, Mütterlichkeit! In François Ozons "Das Schmuckstück" emanzipiert sich Catherine Deneuve vom Heimchen am Herd zur Mutter der Nation.
Eine Komödie in prächtigem Pastell mit Mut zur Föhnfrisur.
Kinder, Küche, Kirche. Noch in den Siebzigern waren das die wohlgeordneten Aufgabenbereiche des "Heimchens am Herd". Suzanne Pujol ist weniger ein solches Heimchen denn vielmehr eine französische "Potiche", die glänzende Schmuckvase des Hauses. Zur Schürze greift das "Schmuckstück", wenn das Hausmädchen verhindert ist.
Die Komödie lebt von der Verdrehung der Verhältnisse. Komisch ist, wenn die ernste Autorität unter schallendem Lachen vom Sockel stürzt und das Gewohnte verdreht wird. So wird Witz zu Emanzipation und der strenge Patriarch Robert Pujol muss sich von seiner Frau aus der Geiselhaft seiner streikenden Arbeiter befreien lassen. Dafür solidarisiert sich Suzanne mit dem kommunistischen Bürgermeister Maurice Babin (Gérard Depardieu), einer ihrer früheren Affären, und steigt schließlich zur Chefin des Unternehmens auf. Kaum ist ihr Gatte wieder frei, folgt prompt bei ihm die Herzattacke, und nach Kur und Kreuzfahrt wird er schließlich endgültig entmachtet. Aus seinem "Schmuckstück" ist inzwischen eine souveräne Matriarchin geworden, die zusammen mit ihren Kindern das Familienunternehmen gründlich umkrempelt hat. Ihr Sohn Laurent, ein Pariser Gelegenheitsstudent mit Künstlerattitüden, entwirft in bunten Farben die neue Regenschirmserie "Kandinsky", während sich ihre konservative Tochter Joëlle mit streng zurückgekämmten Haaren als moderne Geschäftsfrau versucht. Während Suzanne ganz mütterlich für alle nur das Beste will und sich so auch mit den schnauzbärtigen Betriebsratsrevolutionären aussöhnt, schaut ihr Mann zuhause vorm Fernseher "Madame aujourd'hui" und muss sich die Emanzipation seiner Frau auch telemedial nochmal erklären lassen. Nicht einmal mehr seine Sekretärin lässt sich von ihm an den Hintern grapschen. Das "Schmuckstück" ist schlagartig, unabsichtlich ganz oben, weil alles kippt. Dabei hat die unterwürfige Ehefrau sogar ihre Tochter überholt, die auf ihren Jean Charles wartet. Der ist ständig auf Geschäftsreise und erteilt aus der Ferne Rationalisierungsratschläge gegen den sozialen Frieden des familiären Unternehmens. Jetzt ist die Tochter selbst, was sie ihrer Mutter ständig vorgehalten hat, das Schmuckstück ihres Ehemanns. François Ozons "Das Schmuckstück" ist eine Adaption des gleichnamigen Theaterstücks von Pierre Barillet und Jean-Pierre Grédy und ein großes Stück Kino. Den theaterhaften Verdrehungen und dramaturgischen Wendungen fügt Ozon etwas ganz Eigenes hinzu und übersteigert das Komische durch das Spiel mit den Stars und ihren Rollen. Catherine Deneuve, die unangefochtene Grande Dame des französischen Kinos, ist das Schmuckstück der Nation. Ihr Gesicht war Vorbild für die Büste der Marianne. Deneuve bleibt eine Ikone, die ihre Wirkung mit den Rollen wechselt. Bei Ozon ist sie mal der Prototyp der glamourösen großbürgerlichen Mutti und wird am Ende des Films sogar zur politischen Mutter der Nation. Hier beginnt die Überdrehung, das ironische Spiel mit der Symbolik. Besonders grandios ist deshalb auch der Moment als Deneuve und Depardieu, das Schmuckstück und der beleibte linke Bürgermeister, im Stripclub Badaboum auf der leuchtenden Tanzfläche stehen: ein Traumpaar des Kinos wie in François Truffauts "Die letzte Metro" (1980). Noch nie waren die beiden so glamourös wie verdreht auf der Leinwand zu sehen. Die Komödie ist ungreifbar, weil sie sich ständig verdoppelt. Sie lebt von den übertriebenen Fassaden, die sie zugleich ständig niederreißt. Deshalb unterschätzt man leicht den ironischen Witz hinter dem komischen Schein und kann "Das Schmuckstück" für die schwungvolle Verfilmung eines leichten Boulevardtheaterstückes halten. Ozon hat jedoch nicht nur verfilmt, sondern dieser verdrehten Komödie noch ein paar filmische Überdrehungen hinzugefügt. Von den rundlichen Diabildern des Vorspanns bis hin zu kleinen Split-Screen-Spielchen sitzt alles perfekt. Knalleng und sexy ist auch die Ausstattung. Seien es Laurents enge Schlaghosen oder Joëlles blonde Außenwellen, nichts in diesem Film trägt den muffigen Geruch des Retro-Historismus, sondern verkörpert die pralle Bilderlust an Stil und Chic - von den großen Rechtecken der Mustertapete ganz zu schweigen. Kostüme wie Kulissen, alles so offensichtlich Theaterhafte an "Das Schmuckstück" erhält den süßen Bildgeschmack des Kinos. Außer Ozon beherrschte so etwas nur Jacques Demy, der mit "Die Mädchen von Rochefort" (1967) und "Die Regenschirme von Cherbourg" (1964) (beide mit Catherine Deneuve) den ästhetischen Geist seiner Zeit in prachtvolles Pastell gegossen hat. Auch Ozon ist seiner Zeit filmisch immer ein wenig voraus, immer ein wenig "au-delà", jenseits von dem, was sich mit Stil- und Genredefinitionen leichtfertig wegkategorisieren ließe. Vom Phantastischen des fliegenden Babys "Ricky" (2009) bis zum Ernst des Dramas einer drogensüchtigen Schwangeren in "Le réfuge" (2010) scheint Ozons Kino erzählerisch wie ästhetisch keine Grenzen zu kennen. Auch sein neuer Film ist ein "Schmuckstück": so dekorativ wie unterschätzt. Nicolas Oxen /
Wertung: * * * *
(4 von 5)
Quelle der Fotos: Concorde Film Filmdaten Das Schmuckstück (Potiche) Frankreich 2010 Regie: François Ozon; Darsteller: Catherine Deneuve (Suzanne Pujol), Gérard Depardieu (Maurice Babin), Fabrice Luchini (Robert Pujol), Karin Viard (Nadège), Judith Godrèche (Joëlle), Jérémie Renier (Laurent), Sergi López u.a.; Drehbuch: François Ozon nach einer Vorlage von Pierre Barillet, Jean-Pierre Grédy; Produktion: Eric Altmeyer, Nicolas Altmeyer; Co-Produktion: Genivieve Lemal; Kamera: Yorick Le Saux; Musik: Philippe Rombi; Länge: 103,06 Minuten; FSK: ab 6 Jahren; ein Film im Verleih von Concorde Film; deutscher Kinostart: 24. März 2011
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