08. Februar 2006
Sinnlose
Leeren durch Dialogarmut im Kammerspiel
Close
Die Stimmung ist aussichtslos, fast so aussichtslos wie das Leben
der beiden Figuren, die in Marcus Lenz' Film mit dem doppeldeutigen
Wort Close präsentiert und doch nicht wirklich nahe gebracht
werden. Beide, Jost und Anna, so heißen die Hauptcharaktere,
leben in ihrer eigenen Welt. In einer Welt allerdings, die vornehmlich
von Isolation, Neurosen und Phobien bestimmt wird, und ein halbwegs
geregeltes Leben nur schwer erlaubt.
Während Jost durch die nächtlichen Straßen von
Berlin streunt, und seine nicht nachvollziehbaren Aggressionen
durch allerlei Aktionen zu ventilieren versucht – manchmal
kommt er mit soliden Binsenweisheiten und locker-lässigen
Sprüchen etwas altklug daher – vegetiert Anna in ihrer spärlich
eingerichteten Wohnung, in einem Haus ohne Nachbarn. Offenbar leidet
die misanthrope, junge Frau an Agoraphobie, was aber nicht explizit
geäußert wird.
Jost verschafft sich mehr oder weniger gewaltsam Zutritt zu Annas Wohnung, und ein kammerspielartig gehaltenes Vexierspiel zwischen den beiden beginnt. Es wird wenig gesprochen, von den Nöten, Ängsten, aber auch Hintergründen, warum beide so sind, wie sie sind erfahren wir nichts. Er ist aggressiv, gebieterisch, bisweilen arrogant, sie ängstlich, verschlossen, kontaktarm. Die Machtverhältnisse sprechen zunächst für ihn, doch in einer verrückten Aktion dreht sich der Spieß um, und Anna macht ihn für eine Weile zu ihrem Gefangenen, indem sie ihn auf einen Stuhl fesselt und mitunter quasi vergewaltigt. Sie kommen beide im Grunde aus ihrem Fahrwasser nicht heraus;
obwohl sie sich ihrer Situation bewusst sind, und räumlich,
physisch gesehen, mehr als close sind, trennt sie doch soviel.
Inwieweit die Tatsache, dass Anna am Ende ihre Wohnung doch verlässt,
um nachzusehen, was mit Jost passiert ist, inwieweit dies ein Hoffnungsschimmer
am abgebrannten Horizont ist bleibt offen. Thomas Durchschlag hat in "Allein" (2005) mit Lavinia Wilson ein
facettenreiches Porträt einer Paria-Existenz vortrefflich
uns sympathisch, vor allen Dingen eindringlich geliefert. Man nimmt
der Heldin ihr Alleinsein, ihre Neurosen, ihre Ängste schlichtweg
ab. Oder Romuald Karmakar im Jahre 2003 mit "Die Nacht singt ihre
Lieder". Dieses ebenfalls in Berlin angesiedelte filmische Kammerspiel,
in dem Frank Giering als erfolgloser und letztlich psychisch labiler
Dichter irgendwann weder ein noch aus weiß und auch vom Schwiegerpapa
(wunderbar gespielt von Manfred Zapatka) keine Hilfe erwarten kann,
besticht. Karmakar führt expressiv und geräuschlos zugleich
vor, wie das Depressive, das in jedem von uns angelegt ist, überhand
gewinnen und jegliche Hoffnung schlimmstenfalls zunichte machen
kann. Von Anfang bis Ende überzeugt die Geschichte, kommen
die Handlungsträger, trotz ihres Verlorenseins auf den Zuschauer
zu, man empfindet mit ihnen, man versteht sie, mal mehr mal weniger.
Bei "Close" hingegen bleibt alles auf Distanz und man will und kann
den Agierenden ihre Situation nicht so recht abkaufen.
Sven Weidner /
Wertung:
* * * *
(4 von 5)
Filmdaten Close Deutschland 2004; Regie: Marcus Lenz; Buch: Dagmar Gabler, Marcus Lenz; Darsteller: Christoph Bach (Jost), Jule Böwe (Anna), Julia Jäger (Meike) u.a.; Länge: 90 Minuten |
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