16.02.2015
Berlinale-Wettbewerbsfilm

Chasuke's Journey


It's all in the script! Keine Ahnung, wer das zuerst herausgefunden hat. Vermutlich haben es eine ganze Reihe großer Filmemacher irgendwann mal gesagt oder es zumindest gewusst. Besonders verinnerlicht hat die alte Kino-Weisheit Sabu. Der japanische Filmemacher, der mit der Adaption seines Romandebüts "Ten no Chasuke" den Berlinale-Wettbewerb abschließt, erhebt den Grundsatz zur Leitmoral seiner grandios-kuriosen Story. Also nochmal: It's all in the script!

Chasuke's Journey Das ist in den allermeisten Fällen leider bescheiden. Keiner weiß das besser als Chasuke (Ken'ichi Matsuyama), der im Jenseits den Schicksalsautoren Tee serviert. Zu schreiben, der unbedarfte Held spiele nur eine kleine Rolle, ist vielleicht schon zu viel verraten. Jedenfalls ist der himmlische Hauptcharakter davon überzeugt: "Ich koche Tee und ich gieße Tee ein. Das ist alles, was ich mache." Stimmt nicht ganz, er liest die irdischen Biographien, die das weißgewandete Autorenkollektiv auf eine endlose Papierrolle notiert, und kommentiert deren Inhalt. Wer sich selbst mal am Schreiben versucht hat, weiß, wie vernichtend ein Wort wie "gewöhnlich" auf einen verzweifelt nach Einfällen suchenden Autor wirken kann. Das höchste Wesen, sozusagen der allmächtige Produzent der miteinander verwobenen Handlungsstränge, verlangt etwas ganz anderes: "Avantgarde!". Wie sagte einst der legendäre Ballett-Impresario Serge Diaghilev zu Jean Cocteau? "Überrasche mich!" Leider ist nicht jeder himmlische Schreiber ein Cocteau, daher ist die Realität bei Sabu ein Abklatsch von Blockbustern, die schon im Original nicht sonderlich gelungen waren. Der Suppenküchenbesitzer Joe Hikumura (Yusuke Iseya) führt ein solches Mainstream-Movie-Leben, das ihn seiner großen Liebe beraubt hat. Antiquitätenhändler Taneda (Ren Osugi) seinerseits ist selbst beim Film als Schauspieler gescheitert. Und Star-Moderator Pon (Hiromasa Taguchi) verlor als Kind seine Mutter, weil sie zu sehr nach John Cassavetes' "Gloria" schlug.

Chasuke's Journey Besser hat es die gutherzige Yuri (Ito Ohno). Zwar ist die junge Frau seit einem Kindheitserlebnis stumm, dafür entstammt ihr Lebenslauf der Feder eines sensiblen Autors, dem liebenswerte Charaktere mehr bedeuten als tumbe Action. Auf letzte setzt der Schreiber-Kollege, dessen Story Chasuke als leichthin "gewöhnlich" bezeichnet. Animiert durch einen unüberlegten Vorschlag Chasukes überfährt der gemeine Drehbuchautor mit seiner Version von Avantgarde Yuri – buchstäblich, zum Leidwesen Chasukes. Um das unschuldige Opfer schlechten Scriptings zu retten, reist er auf die Erde, um die tödlichen Handlungsfäden zu kappen. Allerdings lässt der düpierte Autor sich nicht so einfach ins Werk pfuschen und bemüht alle erdenklichen Twists, um Chasuke aufzuhalten. Den Lauf der Dinge zu ändern, haben schon so manche Filmfiguren versucht und wer einigen zugesehen hat, weiß, dass man das Schicksal nicht ohne Weiteres manipulieren kann. Oder doch? "Ihr wurdet auf die Erde geschickt, um Gott zu werden", verkündet ein Aushang an einer Kirche, den Chasuke als höhere Botschaft interpretiert. Die Botschaft der turbulenten Episoden-Story wiederum ist simpel, doch universell: Nicht alles geschieht in weiser Voraussicht.

Sogar der Allmächtige hat dämliche Einfälle, die zum Glück nicht endgültig sind. Darauf verweist die Kombination von Chasukes Vor- und Nachnamen: "Klingt nach einem Herren und einem Diener in einem." Genau das ist der Hauptcharakter wie wohl jeder Zuschauer: Herr über das eigene Schicksal, aber Sklave dessen der anderen. Nachdem Sabu fünfmal im Berlinale-Panorama und -Forum (wo er 1999 sogar zwei Filme laufen hatte) vertreten war, schafft er nun den überfälligen Sprung in den Wettbewerb. Einen Preis hat seine clevere Komödie und skurrile Hommage ans Kino unbedingt verdient: den für das beste Drehbuch.  

Lida Bach / Wertung: * * * * (4 von 5) 
 

Quelle der Fotos: Bandai Visual, Shochiku and Office Kitano

 
Filmdaten 
 
Chasuke's Journey (Ten no Chasuke) 
 
Japan / Frankreich 2015
Regie: Sabu;
Darsteller: Ken'ichi Matsuyama (Chasuke aka Chas), Ito Ohno (Yuri), Ren Ohsugi (Taneda), Yusuke Iseya (Joe), Hiromasa Taguchi (Pon), Tina Tamashiro (Chako), Hiroki Konno (Yasuo), Orakio (Polizist mit weißem Gesicht), Susumu Terajima (Kuroki) u.a.;
Drehbuch: Sabu nach seinem Roman; Produktion: Office Kitano; Produzent: Shozo Ichiyama; Kamera: Daisuke Soma; Musik: Junichi Matsumoto; Schnitt: Naoichiro Sagara;

Länge: 106 Minuten; deutscher Kinostart: noch nicht bekannt

Ein Film im Wettbewerb der 65. Berlinale 2015



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Der Film im Online-Katalog der Berlinale
<16.02.2015>


Zitat

"Ich freue mich, wenn es regnet. Denn wenn ich mich nicht freue, regnet es auch..."

Schauspieler und Komiker Karl Valentin

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