29.03.2000

Bringing out the Dead
- Nächte der Erinnerung

Bringing out the Dead - Nächte der Erinnerung Nimmt ein Mensch Drogen, so kann es passieren, dass er zu halluzinieren beginnt. Dann kann es vorkommen, dass er in den Straßen von New York Menschen wiedersieht - die eigentlich längst tot sind. In "Bringing out the Dead - Nächte der Erinnerung" hat der Rettungssanitäter Frank Pierce (Nicolas Cage) mit Drogenabhängigen zu tun, immer und immer wieder, viel zu häufig. Seine Aufgabe ist es, ihr Leben zu retten - um sie eventuell wieder beim nächsten nächtlichen Streifzug als Fahrgast im Krankenwagen dabei zu haben, mit Überdosis, und die Strecke zum Krankenhaus ist lang...

Pierce hat selber ein Drogenproblem: Er hat auch Halluzinationen - er sieht in den Straßen von New York immer wieder die Toten, die sein Beruf mit sich brachte, immer und immer wieder: Junkies mit Überdosis, die er nicht rechtzeitig ins ohnehin nicht aufnahmefähige, weil überbelegte nächste Krankenhaus bringen konnte; Unfallopfer im blühenden Alter, die ihm noch auf der Straße starben; Herzinfarktpatienten, die er rechtzeitig ins Krankenhaus bringen kann - bei denen er gleichzeitig weiß, dass er sie eher nicht hätte retten sollen, um ihnen das Dahinvegetieren zu ersparen. Er quält sich weiter durch diesen Beruf, der ihm Lebenselixier zu sein scheint, weil er eben selber süchtig ist. Der Paramedic Pierce kann nicht mehr anders, er braucht die Droge des nächtlichen Krankenwagenfahrens. Der private Teil seines Lebens inmitten von Mullbinden, Straßendreck und spritzendem Blut besteht nur aus seinem Bett, in das er im Morgengrauen übermüdet fällt - und das er unausgeschlafen und frustriert verlässt, weil die nächste Nachtschicht beginnt. Selten hat man Nicolas Cage so leer, so ausgepumpt, so seelenlos gesehen - und deshalb auch so gut.

"Bringing out the Dead" erinnert manchmal an "The Hospital" (1971) von Arthur Hiller: George C. Scott hat als leitender und leidender Krankenhausarzt kein nennenswertes Privatleben mehr, bis Diana Rigg ihm auch schöne Seiten des Lebens zeigt. Aber aus Pflichtbewusstsein gegenüber den Patienten und dem ohne ihn noch mehr im Chaos versinkenden Krankenhaus opfert er seine Beziehung zu der Frau. Auch Pierce lernt im Verlauf des Films eine Frau näher kennen - aber er weiß nicht mehr, was eine Frau bedeutet. War der Geschlechtsakt für George C. Scott in "The Hospital" eine Katharsis, ein Frustabbau und das Ende von Selbstmordplänen, so hat Pierce bereits keine Kraft mehr für mehr als eine Freundschaft. Einmal wird Mary (Patricia Arquette, Cages Noch-Ehefrau) ihn halten wie - Nomen est omen - Michelangelos Pièta Christus: Sie ist eher eine Art Ersatzmutter für ihn, sie gibt ihm etwas Halt. Es bleibt eine platonische Beziehung, ja sogar während der Freundschaft geht es ihm nur um eines: Marys Drogensucht zu unterbinden. Aber er selber ist zu schwach dazu und lässt sich so fast einmal von ihrem Dealer fangen. Nur fast - seine andere Sucht ist stärker. Was dem Dealer das Leben rettet. Eine Drogenorgie endet für ihn im Pfeiler eines Balkongeländers. Von dort muss Frank ihn losschneiden, hoch über den Straßen von New York, nur eine von vielen tristen Geschichten aus Franks Berufsleben ...

Regisseur Martin Scorsese ist mit "Bringing out the Dead" auf dem richtigen Weg: Er lässt wieder Bilder sprechen, nicht wie bei "GoodFellas" (1991) und "Casino" (1995) nervende Off-Kommentare; und er quält den Zuschauer nicht wie im Falle der uninteressanten Dalai-Lama-Flucht in "Kundun" (1997) mit Langeweile und belehrenden Botschaften. Der Bilderrausch von "Bringing out the Dead" ist ein radikales Lehrstück über das reale Leben - eine Katharsis für den Zuschauer, der im Film zwar Blut, nicht aber das Bild eines endlos zirkulierenden Berufs ohne positive Seiten gewohnt ist. Das Vermischen von Blutlachen mit dem Schmutz der Straße ist Leitmotiv des Films; genauso achtet Scorsese genau darauf, dem Zuschauer im Laufe des Films nie Sonnenlicht zu zeigen. Das erlösende Morgengrauen am Ende der Nacht bedeutet den Beginn einer zu kurzen Ruhepause für den seine Einsamkeit überschlafenden Paramedic Frank. Die Ruhe teilt der Zuschauer aber nicht mit dem stets wie unter Valium stehenden, emotionslos gewordenen Helden. Er teilt mit ihm nur die Unruhe im Beruf, die Unruhe im Drogenrausch des Leben retten müssenden Workaholics.  

Michael Dlugosch / Wertung: * * * * (4 von 5)

Quelle des Fotos: Paramount Pictures


Filmdaten

Bringing out the Dead - Nächte der Erinnerung
(Bringing out the Dead)
USA 1999
Regie: Martin Scorsese; Drehbuch: Joseph Connelly nach seinem gleichnamigen Roman, Paul Schrader; Produzenten: Barbara De Fina, Scott Rudin;
Darsteller: Nicolas Cage (Frank Pierce), Patricia Arquette (Mary), John Goodman (Larry), Tom Sizemore (Walls), Ving Rhames (Marcus), Marc Anthony (Noel), Cliff Curtis (Cy Coates) u.a.;
Kamera: Robert Richardson; Musik: Elmer Bernstein; Länge: 118 Minuten



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