Februar 2001

Blow Up

London in den Swinging Sixties, Sex & Drugs & Rock'n'Roll und ein begehrter Szenefotograf mittendrin.
"Blow Up" macht es seinem Publikum nicht unbedingt leicht, und das ist gut so. Das hat zur Folge, daß man noch lange nach Ende des Films über ihn nachdenken wird.

Berufsfotograf Thomas (David Hemmings) wird in seinem Arbeitsalltag gezeigt. Dabei macht er Aufnahmen von einem Paar in einem Park. Als die Frau (Vanessa Redgrave) merkt, daß sie fotografiert wurde, gerät sie außer sich und verlangt die Negative. Erst als Thomas die Bilder entwickelt und Ausschnittsvergrößerungen macht, hat er eine Ahnung warum: Es ist möglich, daß er einen Mord auf Bild gebannt hat, ohne es zu wissen. Doch die Bilder sind nicht deutlich genug, um es zweifelsfrei zu belegen. Er geht in den Park zurück und findet tatsächlich eine männliche Leiche unter einem Busch. Als er später ein weiteres Mal zurückkehrt, ist die Leiche verschwunden. Der Film endet, ohne daß ein Mord zur Anzeige gebracht oder ein Mörder gefaßt wäre. Und die Frage ist, ob es irgendeine der Filmfiguren wirklich interessiert.

"Blow Up" macht es seinem Publikum nicht unbedingt leicht, und das ist gut so. Das hat zur Folge, daß man noch lange nach Ende des Films über ihn nachdenken wird. So mancher Zuschauer wird sich fragen, ob noch etwas passiert oder ob man etwas verpaßt hat. Es passiert etwas, aber man muß lernen genau hinzusehen. Ein bißchen ist es wie im bekannten Stück von Samuel Beckett, bei dem man wartet und wartet, um dann festzustellen, daß eben keiner kommt und nichts Weltbewegendes geschieht. Knappe 2 Stunden Filmdauer hat der Zuschauer Zeit, um die Hauptfigur und deren Umgebung zu beobachten und zu deuten. Der Protagonist, eindrucksvoll gespielt von David Hemmings, hinterläßt einen alles andere als sympathischen Eindruck. Er terrorisiert und instrumentalisiert seine Models. Er wirkt arrogant, unterkühlt und selbstverliebt. Seinen Job erledigt er absolut professionell, aber ohne Herz. Er ist ein Könner und Künstler, hat aber keinen Bezug zu seinen Objekten und zu seinem Werk - im Gegensatz zu einem befreundeten Maler. Thomas verdient zwar mit der Kunst seine "Brötchen", doch dann scheint er wiederum nicht recht zu wissen, was mit dem Geld und seinem Leben anzufangen. Sein schicker Sportwagen und das riesige Atelier können nichts an dem nagenden Zweifel in ihm ändern. Trotz seines selbstbewußten Auftretens hat er etwas Verlorenes. Er erzählt der Frau aus dem Park, also einer Fremden, von seiner Unzufriedenheit und sagt im Verlauf des Films zweimal, daß er verreisen wolle. Aber er ändert nichts an seiner Lage. Er beschwert sich über die nervenden, oberflächlichen Models, gleichzeitig hat er kein Interesse an dem Innenleben seiner Geliebten.

Ist er ein Einzelfall oder vielmehr ein Kind seiner Zeit oder der Szene, in der er lebt? Michelangelo Antonioni hatte unbedingt in der britischen Metropole drehen wollen, da nach seiner Aussage ein Charakter wie Thomas nicht in seiner Heimat Italien existiere. Das hier gezeichnete Bild von London ist alles andere als schmeichelhaft - wahrscheinlich, daß es nicht die Sicht des Regisseurs widerspiegelt, sondern die seiner Hauptfigur. In einer Ära des Aufbruchs und einer innovativen Musik- und Künstlerszene wird hier alles ad absurdum geführt: Die Schilder, von Demonstranten durch die Straßen getragen, sind nichtssagend, und die Besucher eines Rockkonzerts stehen wie erstarrt und teilnahmslos in der Gegend herum. Drogen, die zu der Zeit als bewußtseinserweiternd angepriesen wurden, dienen nur der Betäubung, Flucht aus der Realität und dem Selbstbetrug. Verdeutlicht an dem originellen Dialog zwischen Thomas und einem Model: "Du hast mir doch erzählt, du fliegst nach Paris." Antwort des zugedröhnten Models: "Ich bin in Paris."

Insgesamt eine seltsame Atmosphäre des Stillstands in einer bewegten Zeit. Nicht minder irritierend das Desinteresse der Figuren ihren Mitmenschen gegenüber. Niemand hört dem anderen zu.
Kein Wunder, daß sich beispielsweise der ehem. Gitarrist der hier auftretenden "Yardbirds", Jeff Beck, verärgert und verständnislos zum Film äußert. Er vermutet, Antonioni habe die Band "The Who" engagieren wollen, da die Bandmitglieder ihre Instrumente zerschlagen mußten. Die erste Wahl wäre aber vielmehr "The Velvet Underground" gewesen. Eine interessante Fußnote, da die Konzertszene sicher komplett anders ausgefallen wäre. Nichtsdestotrotz bietet die Musik der Yardbirds zusammen mit der eigens für den Film komponierten Musik von Herbie Hancock einen passenden Soundtrack, der den Zeitgeist überzeugend einfängt.
Zeitgeist ist aber nicht das primäre Thema, worauf schon der Filmtitel hinweist: "Blow Up" ist die Bezeichnung für die Vergrößerung von Bildern. Durch mehrfache Vergrößerung werden Fotos immer grobkörniger. Mit dem verblüffenden Effekt, daß nicht wirklich mehr zu erkennen ist als vorher. Wie wir sehen, sehen wir nichts. Die Bilder aus dem Park wirken wie abstrakte Gemälde. Die Filmlexika schreiben gern, "Blow Up" handle von Schein und Wirklichkeit, aber das scheint arg kurzgegriffen. Es ist die Beschäftigung mit Bildern, ihre Wirkung auf den Betrachter und das Hinterfragen des Inhalts. Viel Zeit wird in "Blow Up" auf den Entstehungsprozeß und das Betrachten der Fotos verwendet. Können wir den Bildern trauen? Können wir unseren Sinnen trauen?
Die Krimi-Episode gerät schnell in den Hintergrund und ist nicht mehr als ein kurzweiliges Abenteuer.

Das Ende ist leise und verblüffend und schließt auf einer traurigen Note.  

Jessica Ridders / Wertung: * * * * * (5 von 5)



Filmdaten

Blow Up
(Blowup)

GB 1966
Regie: Michelangelo Antonioni; Drehbuch: Michelangelo Antonioni, Tonino Guerra, Edward Bond nach einer Kurzgeschichte von Julio Cortazar; Kamera: Carlo Di Palma; Musik: Herbert Hancock, The Yardbirds;
Darsteller: David Hemmings (Thomas), Vanessa Redgrave (Jane), Sarah Miles (Patricia), Jane Birkin (Teenager), Peter Bowles, Veruschka u.a.

Länge: 111 Minuten; FSK: ab 18 Jahren.



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