Dezember 1999
Es ist wie verhext: Warum durchfährt nicht jeden die Angst?

Blair Witch Project


Blair Witch Project Drei Filmstudenten verirren sich im Wald. Regisseurin Heather, Kameramann Josh und Tontechniker Mike wollten einen Dokumentarfilm drehen über die Hexe von Blair, an die sie selbst anfänglich nicht recht glauben. Doch der Wald ist groß, und als Mike die "nutzlose" Landkarte vernichtet, scheint es nicht nur endgültig unmöglich, aus dem Wald herauszufinden, sondern auch das Vertrauen untereinander ist zerstört. Hinzu kommt, daß die Filmstudenten tatsächlich immer mehr Anzeichen für die Hexe finden. Sie fühlen sich verfolgt - unerwünscht in dem riesigen Wald. Besonders die Übernachtungen im wackligen Zelt werden für sie zum Alptraum.

Zu Beginn des Films erleidet der Zuschauer einen physischen Schock: Josh erzeugt derartig wacklige Bilder, daß dem Publikum zunächst die Augen schmerzen. Wacklige Bilder und ausschließlich Originaltöne sollen diesen Film wie eine Dokumentation wirken lassen. Auch die Schauspieler lassen an Authentizität nichts zu wünschen übrig, was aber kaum auf ihre schauspielerischen Fähigkeiten zurückzuführen ist, sondern auf die Regisseure Daniel Myrick und Eduardo Sanchez: Sie ließen ihre Darsteller eine Woche lang in dem Wald allein, versorgten sie nur mit dem Nötigsten und spielten ihnen nachts heimlich Streiche.

Der Film kommt ohne Gewalt aus. Das Gefühl der Angst wird allein auf dem psychologischen Weg erzeugt: Dunkelheit im Wald, Streit, kein Vertrauen untereinander, Hilflosigkeit, Ungewißheit, Kälte, unerklärliche Geräusche – das nagt nicht nur an der Psyche der Studenten, sondern auch an den Nerven der meisten Zuschauer. Die Wirkung ist gut berechnet: Die Zielgruppe des Films (Zuschauer im Studentenalter) soll sich mit den "Opfern" identifizieren durch ihr Alter, ihre Kleidung, ihre Sprache.

Blair Witch ProjectObwohl das "Blair Witch Project" ein perfekter Horrorfilm zu sein scheint, läßt sich die Wirkung aber nicht für jeden Zuschauer so berechnen. Und um diese Minderheit soll es im folgenden gehen. Sind diese Zuschauer besonders tapfer? Höchstens im Einzelfall. Haben sie mangelnde Phantasie? Nein! Um die Ursache der Furchtlosigkeit zu erforschen, ist ein Blick zurück nötig. Zuerst wurde der Film in nur 27 amerikanischen Kinos gezeigt, während die Filmemacher aus Kostengründen im Internet für ihn warben. Dort erzeugten sie die Legende, daß die Filmstudenten wirklich verschwunden und die Aufnahmen die einzigen Hinweise auf die Ursache dessen seien. Beweisfotos und Polizeiprotokolle sorgen heute im Internet für den Fortbestand dieser Legende. Inzwischen hat der Film aber solch einen Wirbel ausgelöst, so daß längst jeder lesen, hören und sehen konnte, daß alles nur vorgetäuscht ist.

Eine dokumentarfilmhafte Kameraführung prägt auch die "Dogma 95"-Filme wie "Mifune" und "Idioten". Sie versuchten die Zuschauer zum Nachdenken zu bringen, beabsichtigten aber nicht, ihnen vorzugaukeln, daß das Gezeigte wahr sei. Dort waren verwackelte Bilder effektiv. Anders verhält es sich beim Horrorfilm "Blair Witch Project". Hier ist alles nur daraufhin angelegt, daß die Zuschauer sich fürchten. Doch wenn man nicht an Hexen glaubt, der Film aber ständig die "Dokumentation", damit aber auch die beabsichtigte Täuschung eintrichtert: Wovor soll man sich dann fürchten? Vor nicht vorhandenen Hexen? Davor, sich veräppeln zu lassen durch die längst geplatzte Illusion? Vor der beseitigten Ungewißheit, ob es tatsächlich so passiert ist? Wer diesen Gedanken auch im Kino nicht verdrängen kann, der sträubt sich dagegen, seinen Verstand zu vergessen und so auf die Täuschung hereinzufallen, wie es die Regisseure gerne hätten.

Vielleicht liegt die ausbleibende Angst aber auch am subjektiven Hexenbild: Hat eine Hexe es nötig, Zelte flachzulegen und Voodoo-Puppen zu basteln? Selbst der Schluß, der den einzigen Schrecken auslöst, ist in diesem Zusammenhang enttäuschend. Wirklich perfekt wäre der Film gewesen, wenn er auf diese bodenständigen Elemente verzichtet und die drei Filmstudenten rein psychologisch in ihr Verderben treiben gelassen hätte. So jedenfalls erscheint der gesamte Film nicht so glaubhaft, daß man die Realität für zwei Stunden vergessen könnte.

Das "Blair Witch Project" ist inzwischen der erfolgreichste Film aller Zeiten: 35 000 Dollar hat er gekostet, einen dreistelligen Millionenbetrag spielte er ein. Und das, obwohl der Aufstieg ausschließlich durch Internet- und Mund-zu-Mund-Propaganda begründet wurde. Im Sommer, wenn Amerikaner gerne vor der Hitze in die klimatisierten Kinosäle fliehen, stahl die Hexe den vielen High-Budget-Produktionen die Schau. Inzwischen gibt es sogar schon ein satirisches deutsches Remake: Die Süddeutsche Zeitung veröffentlichte jüngst "Das Hänsel-und-Gretel-Projekt": Drei Journalisten suchen die Knusperhexe im Spessart. Na, dann: frohe Lebkuchen-Zeit!  

Tobias Vetter / Wertung: * * * (3 von 5) 

 
Filmdaten 
 
Blair Witch Project (The Blair Witch Project) 
 
USA 1999
Regie, Drehbuch & Schnitt: Daniel Myrick, Eduardo Sanchez;
Darsteller: Heather Donahue (Heather Donahue), Michael Williams (Michael Williams), Joshua Leonard (Joshua Leonard), Bob Griffith, Jim King, Sandra Sanchez u.a.; Produktion: Artisan Entertainment/Haxan Film; Produzenten: Gregg Hale, Robin Cowie, Michael Monello; Kamera: Neal Fredericks; Musik: Tony Cora; Länge: 87 Minuten; FSK: ab 12 Jahren; ein Film im Verleih von Arthaus; deutscher Kinostart: 25. November 1999



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"Ich freue mich, wenn es regnet. Denn wenn ich mich nicht freue, regnet es auch..."

Schauspieler und Komiker Karl Valentin

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