11.08.2016

Birnenkuchen mit Lavendel


Das "Asperger-Syndrom" ist eine autistische Entwicklungsstörung, die mit einem eingeschränkten Einfühlungsvermögen, mangelhafter sozialer Kompetenz und oft ungewöhnlichen Sonderinteressen einhergeht. Hinsichtlich Sprachentwicklung und Intelligenz sind Menschen mit Asperger-Syndrom aber im Allgemeinen "normal". Pierre (Benjamin Lavernhe, Mitglied der Comédie Française) ist ein Mensch, der an dieser "Behinderung" leidet. Das heißt: Er leidet gar nicht, sondern führt ein fast normales Leben, das durchaus in Harmonie mit seiner Umwelt verläuft.

Alles beginnt damit, dass Pierre unaufmerksam vor das Auto der hübschen und sympathischen Landwirtin Louise (Virginie Efira) läuft und leicht verletzt wird. Louise nimmt ihn mit zu sich nach Hause. Sie wohnt mit ihrem lebensfrohen Sohn Felix (Léo Lorléac'h) und ihrer pubertierenden Tochter Emma (Lucie Fagedet) in einem Landhaus. Nach dem Tod ihres Mannes lebt sie von der Birnen- und Lavendelproduktion, allerdings hat sie Schwierigkeiten, einen Bankkredit zurückzuzahlen, und so fürchtet sie den Moment, wo sie das Haus und das Anwesen verkaufen muss. Da trifft es sich gut, dass sich Pierre, eine Art zweiter "Rain-Man" (wie Dustin Hoffman), hervorragend in der Mathematik und in der Literatur auskennt. Das Landgut muss aufgrund von Pierres Findigkeit nicht verkauft werden. Die Chemie zwischen den Hauptpersonen stimmt, man ahnt von Anfang an, dass zwischen ihnen eine Verliebtheit entsteht und dass die Geschichte – wie in jeder romantischen Komödie – "happy" enden wird. Ob die beiden aber ein echtes Paar werden, bleibt offen.

Das Ganze spielt in der sonnendurchfluteten Landschaft der Provence, was von vornherein eine betörende Atmosphäre schafft. Ein besonderer Tiefgang entsteht im Lauf der Handlung nicht, gleichwohl gleitet diese recht turbulente Liebesgeschichte nicht in den Kitsch ab. Das liegt zum einen am natürlichen Spiel der Darsteller, zum anderen an den vielen humoristischen Situationen, die sich aus Pierres "Besonderheit" ergeben. Man lacht aber nie über ihn, nur mit ihm. Pierre ist frappierend ehrlich, offen, zitiert gern Primzahlen. Er folgt der hübschen Louise ohne Scheu ins Bad und sagt: "Du bist sicher schön, wenn du nackt bist." Er liebt bunte Klebepunkte, die er im ganzen Haus anbringt. Als er Louise auf dem Markt beim Verkauf ihrer Waren unterstützt, sagt er zu einem Kunden: "Gelée royale enthält Acetylcholin. Unerlässlich für eine Erektion." Er erweist sich als ambitionierter Hacker, der in einem Lokal für die Auslösung der Sprinkleranlage sorgt. Eine wunderbare Szene ist die, in der Pierre gegen die nächtliche Kälte, die die Birnenernte zu vernichten droht, zahlreiche Wachslichter anzündet.

Insgesamt ist ein Effekt des Films sicherlich auch, dass Vorurteile gegenüber dem "Anderssein" abgebaut werden. Regisseur und Drehbuchautor Eric Besnard hat hier eine liebevolle, melancholische Wohlfühlkomödie (in ihrer Entschleunigung ein krasses Gegenstück zum amerikanischen Popcorn-Kino) inszeniert, die zu Recht bei den Französischen Filmtagen Tübingen-Stuttgart gleich in den beiden Städten den Publikumspreis bekam. Der Pariser "Figaro" nannte den Film "eine Perle".  

Manfred Lauffs / Wertung: * * * * (4 von 5) 
 

 

 
Filmdaten 
 
Birnenkuchen mit Lavendel (Le goût des merveilles) 
 
Frankreich 2015
Regie & Drehbuch: Eric Besnard;
Darsteller: Virginie Efira (Louise Legrand), Benjamin Lavernhe (Pierre), Lucie Fagedet (Emma Legrand), Léo Lorléac'h (Félix Legrand), Hervé Pierre (Jules), Hiam Abbass (Dr. Mélanie Ferenza), Laurent Bateau (Paul) u.a.;
Produzenten: Patrice Ledoux, Michel Seydoux; Kamera: Philippe Guilbert; Musik: Christophe Julien; Schnitt: Yann Dedet;

Länge: 96,47 Minuten; FSK: ohne Altersbeschränkung; ein Film im Verleih der Neue Visionen Filmverleih GmbH; deutscher Kinostart: 10. März 2016



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"Ich freue mich, wenn es regnet. Denn wenn ich mich nicht freue, regnet es auch..."

Schauspieler und Komiker Karl Valentin

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