26. Juni 2003

Hogans großer Bluff

Auto Focus

25 Jahre ist es her: Der Schauspieler Robert "Bob" Crane, in den USA vor allem, in Deutschland lediglich bekannt durch die 60er Jahre-Klamauk-Serie "Hogan's Heroes", wurde ermordet in einem Hotelzimmer aufgefunden. Nach dem Ereignis kam heraus, wie der vermeintliche Saubermann und Familienvater Crane sich selbst in einem Netz aus Sex, Lügen und Video verstrickt hatte, dessen Sucht-Potenzial ihn das Leben kostete, obwohl - oder besser: weil er aussteigen wollte. Greg Kinnear, sonst in Filmen eher blass agierend, stellt die Zwiegespaltenheit des sich extrovertiert gebenden und innerlich doch zerrütteten Crane angemessen zurückhaltend dar.

So kennen wir "Hogan's Heroes", zu deutsch "Ein Käfig voller Helden" - bzw. Anfang der 90er Jahre, als die Serie erstmals dem deutschen Publikum anvertraut wurde, unter dem Titel "Mit Stacheldraht und Fersengeld" laufend: Oberst Klink (Werner Klemperer) leitet sein Strafgefangenenlager Stalag 13 im Glauben, es sei das ausbruchsicherste Hitler-Deutschlands. Doch Klinks und seines Untergebenen Schultz augenfällige Idiotie konstatieren dem Zuschauer: Die einsitzenden Jagdflieger um Colonel Hogan (Bob Crane) haben leichtes Spiel, aus dem Lager eine Art Alliierten-Quartier gegen das Nazi-Reich zu machen. Zwischen den Anschlägen auf Wehrmachtskonvois bleibt Hogan immer noch Zeit, Klinks Sekretärin Helga (Sigrid Valdis) zu lieben...

So weit die eine Illusion für die Öffentlichkeit, die für die Öffentlichkeit überschaubare, da als fiktiv erkennbare Illusion, an der der Schauspieler Bob Crane (Greg Kinnear) beteiligt war. Die andere Illusion: Als bekannte Größe im Showgeschäft wie in seinem engeren Umkreis zeigte er sich als treuer Gatte und Vater mehrerer Kinder, und anfangs war er tatsächlich brav monogam-bürgerlich in seiner Gesinnung, zeigt Regisseur Paul Schrader. Bis die Karriere des ehemaligen Radio-DJs Crane einen Knick nach oben macht und die Frauen auf den neuen Serienstar fliegen, dabei das Image des Hogan, der strahlende (Frauen-)Held zu sein, mit dem des Akteurs Crane verwechseln, ein Fakt, gegen den er zunächst ankämpft, der ihm aber bald gefällt, den er in den 60ern, der Zeit der freien Liebe, für seine neu gewachsenen Ansprüche ausnutzt.

Er ist nicht der Einzige, der einen Nutzen daraus zieht: Crane lernt am Set von "Hogan's Heroes" einen gewissen John Carpenter (Willem Dafoe) kennen, seines Zeichens Video-Techniker. Obwohl der 1998 verstorbene Carpenter ebenfalls eine reale Figur war, sei er nicht mit dem Regisseur gleichen Namens zu verwechseln. Carpenter, eine Halbwelt-Gestalt, erkennt, wie er aus der entstehenden Freundschaft mit Crane seinerseits gewinnen kann: Seine eigene Sex-Sucht erhält an der Seite von Crane einen Erfolgsschub - und überträgt sich auf Crane. Die gemeinsam in Pubs gefundenen Frauen sind willige Parts für Orgien, die Carpenter mal mit dem Wissen der Frauen, mal heimlich mitschneidet. Porno-Videos fürs eigene Heimkino entstehen, sogar mit einem professionellen Schauspieler. Hier erklärt sich der Titel des Films, "Auto Focus", also Selbstauslöser: Nicht nur die Kamera, der Mitwisser aller Heimlichkeiten, ist gemeint, sondern auch jener Zustand des Kontrolle-Verlustes, dem sich Crane und Carpenter in ihrer sukzessive fortschreitenden Manie zunächst unbewusst ausgesetzt sind.

Die Kamera, der Mitwisser: "Auto Focus" spielt mit allen Illusionen rund um die Showbranche in kongenialer Umsetzung, dazu in Verknüpfung mit der Illusion in der Illusion von "Hogan's Heroes". Für die doofen Deutschen in der Serie gab es die Illusion, die Alliierten zu beherrschen. Für die Zuschauer die Illusion, den Schauspieler Crane nur als Serienfigur zu erleben ohne die privaten Umstände, die später doch herauskommen sollten. Für die Frauen unter den Zuschauern, die Crane und Carpenter kennen lernen, unter Umständen das Ende aller Illusionen. Realität, Fiktion und Halbwahrheiten verschwimmen miteinander, so passt es, dass Crane Sigrid Valdis zur zweiten Frau nehmen wird, die Darstellerin der Helga, deren etwas andere Kollaboration mit dem Kriegsfeind Hogan in der Serie nur der Zuschauer augenzwinkernd erfährt. Und die Kamera. Hogans großer Bluff. Und auch jener des Bob Crane.

"Auto Focus" passt in das Jahr 2003, das zahlreiche eigenmächtige wie ungewollte Entblößungen Prominenter im Privatleben oder Enttarnungen von deren Lügen hervorgebracht hat. Dies gilt auch fürs Kino: Schraders Film erscheint in Deutschland kurz nach George Clooneys "Geständnisse - Confessions of a Dangerous Mind", der Verfilmung der Autobiografie des US-Quizmasters Chuck Barris. Nach Barris' Karriereende berichtete er, wie er einst noch ein zweites Leben geführt haben will, als CIA-Killer: Ein Schattendasein, das, um sich wieder interessant zu machen, um seinen Niedergang aufzuhalten, erfunden sein kann. Der Unterschied Cranes zu Barris: Crane kann nicht mehr selber die Wahrheit ans Licht bringen.

Paul Schrader, als Drehbuch-Autor von "Taxi Driver" Spezialist für einsame Individuen, deren Unfähigkeit, ihre Getriebenheit zu bewältigen und die daraus resultierende Lust auf anderes in Grenzen halten zu können, gerät seine vorliegende Regie-Arbeit in einer Hinsicht aus den Fugen: Seine deutliche Intention war, das Verhalten Cranes ausdrücklich nicht bewerten, wodurch er die Chronologie der Ereignisse nur zu beschreiben im Stande ist. Konflikte ergeben sich damit emotionslos, etwa bei Cranes Aufeinandertreffen mit einem befreundeten Pfarrer, etwa bei den Lossagungen von den gegründeten Familien, etwa bei der Schilderung des Abstiegs: Mit dem Ende des Klamauks "Hogan's Heroes" macht die Karriere einen weiteren Knick - nach unten. Nach dem Ende der zweiten Ehe mit Sigrid Valdis gibt es auch das Ende von Cranes eigener Illusion: Er kann sich nicht mehr als Familienvater präsentieren. Letzter Ausweg des nun sehr Einsamen: Auch den Kontakt zu Carpenter bricht er gegen dessen Willen ab. 1978 liegt Crane tot in einem Hotelbett, unter anderem von einem Kamera-Stativ erschlagen, die Kamera ein weiteres Mal als Mitwisser, aber ob Carpenter wirklich der Mörder war, wie vor Gericht die Anklage lautete, wird als ungeklärtes Rätsel für das den Boulevard liebende Publikum der Nachwelt nur eine weitere Art von Illusion bleiben.  

Michael Dlugosch / Wertung: * * * (3 von 5)


Filmdaten

Auto Focus
(Auto Focus)

USA 2002
Regie: Paul Schrader ("Der Gejagte", Drehbuch zu "Taxi Driver"); Drehbuch: Michael Gerbosi nach dem Buch "The Murder of Robert Crane" von Robert Graysmith; Kamera: Fred Murphy; Musik: Angelo Badalamenti;
Darsteller: Greg Kinnear (Bob Crane), Willem Dafoe (John Carpenter), Rita Wilson (Anne Crane), Maria Bello (Patricia Olson / Patricia Crane / Sigrid Valdis), Ron Leibman (Lenny), Bruce Solomon (Edward H. Feldman), Michael E. Rodgers (Richard Dawson), Kurt Fuller (Werner Klemperer), Christopher Neiman (Robert Clary), Lyle Kanouse (John Banner), Donna-Marie Recco (Melissa / Mistress Victoria), Ed Begley Jr. (Mel Rosen), Michael McKean (Video-Händler), Cheryl Lynn Bowers (Cynthia Lynn), Don McManus (Priester) u.a.

Länge: 105 Minuten; FSK: ab 16 Jahren; ein Film im Verleih der Columbia TriStar Film GmbH, heute Sony Pictures; deutscher Kinostart: 26. Juni 2003



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Schauspieler und Komiker Karl Valentin

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