24.02.2016
Ein Film der Berlinale 2016, Sektion Forum

And-ek Ghes...


"Eines schönen Tages..." bedeutet der Titel der experimentellen Mixtur aus Familienvideos und Laienschauspiel. Es ist ein Erstlingswerk für den Mann hinter der Kamera oder genauer gesagt: den Mann mit der Kamera in der Hand. Colorado Velcu filmt die Ankunft seiner rumänischen Familie in Berlin und die ersten Wochen in dem neuen Zuhause. Initiator des semi-dokumentarischen Projekts ist Filmemacher Philip Scheffner, der im Forum der diesjährigen Berlinale mit dem ebenfalls zwischen Fiktion und Reportage driftenden "Havarie" vertreten ist.

And-ek Ghes...Scheffner, der auf der Berlinale 2012 mit seiner Doku "Revision" beeindruckte, fungiert hier offiziell ausschließlich als Produzent. Allerdings scheint die Familie Veclu zu glauben, sie solle nicht nur ihren Alltag dokumentieren, sondern nachgestellte Szenen im Stil einer Mockumentary drehen. Oder vielleicht sogar einen Amateurfilm? Das Resultat ist eine Art überlanges Heimvideo, bei dem man oft nicht weiß, wo der Spaß aufhört und der Ernst des Lebens anfängt. Die Bilder stammen von einer Handkamera, die eine der Töchter geschenkt bekommen hat. Ob extra zum Zweck, dieses Filmprojekt zu realisieren, oder von wem, bleibt offen. Genauso wie die Fragen, wie der bisherige Weg der Familie verlief, was sie nach Berlin führt und ob sie dauerhaft bleiben wollen. Selbst grundlegende Dinge wie die Verwandtschaftsgerade der Familienmitglieder und ihre Namen bleiben weitgehend unklar. Zwar ist man ständig dicht an den Protagonisten dran, in ihrer neuen Wohnung und einmal sogar im Krankenhaus und hört ihnen ununterbrochen zu, von ihren Sorgen und Problemen aber erfährt man fast nichts. Die meiste Zeit sieht man die Veclus unterwegs in den Straßen Berlins, das ihnen sehr gut gefällt. Man sitzt im Park beisammen, grillt oder hängt in der Wohnung herum.

And-ek Ghes... Von den Hürden, die sich einer der deutschen Sprache kaum mächtigen und frisch eingewanderten Familie wohl stellen, sieht und hört man nahezu nichts. Erst spät wird aus einem der meist direkt in die Kamera abgelieferten Berichte klar, dass die Kinder aufgrund behördlicher Verzögerungen nicht zur Schule gehen können. Auch mit der Überweisung von Kindergeld und Sozialhilfe scheint es Probleme zu geben, aber welcher Art diese genau sind und welche unmittelbaren Auswirkungen es auf das Zusammenleben hat, lässt sich nur ansatzweise erahnen. Nie wirkt die Lage prekär oder angespannt. Immer sind alle gut aufgelegt und scheinen fröhlich, sogar dann, wenn der Vater meint, die anderen seien traurig. Was sie bedrückt können oder mögen die Protagonisten anscheinend nicht verraten. Sind sie einfach Pragmatiker oder meinen sie eventuell, es sei unhöflich, sich zu beklagen? Der Umstand, dass man alle unbedarft und scherzend sieht, unterminiert jedenfalls tiefergehende Empathie. Die Situationen erscheinen zu banal, um sich weiter dafür zu interessieren. Selbst als einige Verwandte Veclus nach Spanien aufbrechen, um dort Arbeit zu finden, scheint das nicht weiter dramatisch. Einen kleinen Wunsch erfüllt der Produzent seinen Figuren noch mit einem Musikvideo im Bollywood-Stil, in dem einer der Protagonisten einen selbst geschriebenen Song singt.

Womöglich hat Scheffner so viel Zeit mit den Protagonisten verbracht, dass er vergaß, dass sie für den Zuschauer Fremde sind – und dies auch bleiben. Unweigerlich stellt sich so die Frage, warum er das ganze überhaupt zu einem Film für die Öffentlichkeit zusammenschneidet. Dass rumänische Einwanderer die Kamera auf sich selbst richten, soll augenscheinlich als Selbstläufer funktionieren. Aber das tut es nicht.  

Lida Bach / Wertung: * (1 von 5) 
 

Quelle der Fotos: Khaled Abdulwahed

 
Filmdaten 
 
And-ek Ghes... (And-ek Ghes...) 
 
Deutschland 2016
Regie: Philip Scheffner, Colorado Velcu;
Drehbuch: Colorado Velcu, Merle Kröger, Philip Scheffner; Produzentin: Merle Kröger; Kamera: Coloradu Velcu, Philip Scheffner, Parizan Nistor, Casino Nistor, Mario Ilie, Emporio Ilie, Noami Nistor, Fecioara Velcu, Zefir Chiciu, Jeckichan Velcu, Rata Miclescu, Calil Velcu, Donadoni Miclescu, Bernd Meiners; Musik: Colorado Velcu, Parry Nistor; Schnitt: Philip Scheffner;

Länge: 93 Minuten; deutscher Kinostart: 22. September 2016



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Der Film im Katalog der Berlinale
<24.02.2016>


Zitat

"Was soll das denn sein - wo du doch Schauspieler sein kannst? Da will man doch nicht Arzt werden!"

Die Reaktion der schauspielernden Eltern von Michael Verhoeven (13. Juli 1938 - 22. April 2024) auf seinen Wunsch, Medizin zu studieren - er wurde Regisseur ("o.k.", "Die weiße Rose"), Schauspieler ("Das fliegende Klassenzimmer" (1954), "Der Pauker") und Arzt

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